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Die Reputation Economy

Sterne als Navigationshilfe: Wie in der Sharing Economy Vertrauen entsteht

Mareike Möhlmann und Timm Teubner

Keywords

Vertrauen, Ratings, Reputation, Fake Reviews

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Neue Regeln der Vertrauensbildung
Wohl jeder kennt die Ermahnungen seiner Eltern, nicht in fremde Autos zu steigen, mit Fremden mitzugehen oder Internetbekanntschaften persönlich zu treffen. Trotz dieser Ratschläge teilen heute viele ihr Auto mit Fremden (BlaBlaCar), gewähren Unbekannten Zugang zu ihren Häusern (Airbnb, Helpling) und nutzen Plattformen, um mit anderen in On- und Offline-Umgebungen in Interaktion zu treten (TaskRabbit, Facebook). Neue Online- und Mobiltechnologien haben den Aufstieg der sogenannten Sharing- oder Plattformwirtschaft vorangetrieben. Eine Vielzahl digitaler Unternehmen ist entstanden, die den Austausch von Ressourcen zwischen verschiedenen Akteuren auf neue Art ermöglicht. Einer der wichtigsten Aspekte für den Erfolg von Plattformen sind Netzwerkeffekte, eine kritische Masse an Nutzern, und vor allem Vertrauen zwischen wesentlichen Akteuren. In puncto Vertrauen hat der Triumph der Plattformen die besorgten Mahnungen unserer Eltern wohl in Frage gestellt. Warum vertrauen wir hier so oft auch Unbekannten? Ein Grund dafür ist, dass die Plattformen neue Instrumente, Mechanismen und Gestaltungsprinzipien entwickelt haben, um Vertrauen aufzubauen.  Dazu gehören vor allem Sternebewertungen und schriftliche Erfahrungsberichte. Diese kann man als logische Weiterentwicklung der Austauschprinzipien früherer Generationen für die Internetnutzer der heutigen Zeit betrachten (siehe Box 1).

 

Warum Sterne tückische Navigationshilfen sind
Online-Plattformen wie eBay waren Pioniere bei der Entwicklung von Reputationssystemen. Sie führten Sternebewertungen ein, die der Vertrauensbildung zwischen anonymen Käufern und Verkäufern dienten. Heute setzen praktisch alle E-Commerce- und Sharing-Economy-Plattformen auf ähnliche Systeme. Obwohl sie vielversprechend sind, sind Reputationssysteme jedoch keine Wunderwaffe. Sternebewertungen können als Navigationshilfe nämlich ziemlich tückisch sein. Sowohl die Plattformen selbst als auch deren Nutzer stehen vor zahlreichen Herausforderungen, wenn sie die Glaubwürdigkeit von Reputationssystemen sicherstellen wollen. Zur Bewältigung dieser Herausforderungen gibt es unterschiedliche Ansätze.

  • Verzerrte Bewertungen mit geringer Varianz
    Häufig kann man beobachten, dass die durchschnittlichen Bewertungen sehr positiv sind. Tatsächlich sind bestmögliche Bewertungen, wie 5 von 5 Sternen, eher die Norm als die Ausnahme. Verzerrte Bewertungen und eine geringe Bewertungsvarianz machen es den Nutzern jedoch schwer, gute von schlechten Produkten und Dienstleistungen zu unterscheiden. Bewertungen mit positiver Tendenz resultieren aus mehreren Effekten wie der sozialen Erwünschtheit, der Angst vor schlechten Vergeltungs-Bewertungen und öffentlichen Beschimpfungen sowie dem sogenannten „Survivorship Bias“ – der Tatsache, dass Unternehmen mit niedrigen Bewertungen schneller vom Markt verschwinden. Um das Problem möglicher Vergeltungsmaßnahmen anzugehen, arbeiten viele Plattformen mit simultanen Bewertungsmechanismen, bei denen die Ratings erst dann veröffentlicht werden, wenn beide Parteien ihre Bewertungen abgegeben haben. Darüber hinaus bieten viele Plattformen die Möglichkeit, Textbewertungen als Ergänzung zu numerischen Bewertungen zu hinterlassen. Während numerische Bewertungen die „zusammengefassten Erfahrungen“ anderer darstellen, können Nutzer in Textbewertungen die Besonderheiten eines Produkts, einer Dienstleistung oder eines Anbieters ausführlicher beschreiben. Beispielsweise weisen Airbnb-Listings eine hohe Varianz bei Teilaspekten wie der Lage einer Unterkunft, der Sauberkeit oder der Ausstattungsqualität auf. Textbewertungen ermöglichen es den Nutzern, sehr spezifische Informationen zu teilen, wie beispielsweise zu lauten Nachbarn oder zu Straßenlärm.

 

  • Gefälschte Bewertungen – wie man sie aufdeckt und verhindert
    In den meisten offenen Bewertungs-Ökosystemen wie bei Amazon, Google, TripAdvisor oder Jameda kann jeder eine Bewertung für Produkte, Orte, Hotels, Ärzte oder Apps hinterlassen, egal ob ein Produkt oder eine Dienstleistung tatsächlich gekauft oder genutzt wurde. Angesichts des enormen Einflusses von Sternebewertungen auf Unternehmen ist diese Möglichkeit ein messerscharfes und weitgehend uneingeschränktes zweischneidiges Schwert. Der Kauf von Fake Reviews für ein Unternehmen kann enorme Vorteile haben. Es ist daher nicht überraschend, dass eine florierende Sekundärindustrie rund um beauftragte und gefälschte Bewertungen entstanden ist. Besonders, wenn Nutzer oder Verkäufer eine neue Plattform nutzen und quasi unbeschriebene Blätter sind, erscheint es verlockend, einen guten Ruf durch den Kauf wohlwollender Bewertungen aufzubauen. Bemerkenswert ist, dass auch negative Bewertungen für Mitbewerber bestellt werden können. Während dies im besten Fall nur lästig ist, kann diese Praktik Unternehmen auch finanziell ruinieren. Obwohl viele Plattformen Kommentare vor deren Veröffentlichung prüfen, wird mangelnde Kontrolle weithin als großes Manko der Sharing Economy gesehen. Bei Plattformen wie Airbnb oder Uber, bei denen die Bewertungsmöglichkeiten an tatsächliche Transaktionen gebunden sind, ist das Problem der Fake Reviews natürlich weniger besorgniserregend.  Außerdem implementieren immer mehr Plattformen komplexe technische Systeme, um verdächtige Bewertungen automatisch durch Algorithmen zu identifizieren, zu kennzeichnen und zu löschen. Zusätzlich gibt es immer mehr Drittanbieter wie ReviewMeta.com, die versuchen, aufgebauschte und verfälschte Produktbeurteilungen zu enttarnen.
     
  • Das „Kaltstart“-Problem und Reputationstransfer zwischen Plattformen
    Eine weitere Herausforderung ist das „Kaltstart“-Problem, das weitgehende Fehlen von Bewertungen, wenn eine Plattform sich neu auf einem Markt etabliert. Selbst wenn es Unternehmen gelingt, erste Bewertungen zu erhalten – ohne eine entsprechend hohe Anzahl an Sternebewertungen wird diesen meist wenig Glaubwürdigkeit attestiert. So wird beispielsweise einem Nutzer, der nur eine einzige Fünf-Sterne-Bewertung erhalten hat, in der Regel weniger Vertrauen entgegengebracht als einem Nutzer, der zwanzig Fünf-Sterne-Bewertungen und drei Vier-Sterne-Bewertungen erhalten hat. Es gibt verschiedene Ansätze, um die Folgen dieses Problems zu minimieren. Abgesehen vom problematischen Kauf von Fake Reviews experimentieren Plattformen mit Anreizen, um Nutzer zum Abgeben von Bewertungen zu motivieren, z.B. durch Coupons oder Rabatte oder durch weniger handfeste Mittel wie „Gamification“ oder wiederholte (und lästige) E-Mail-Benachrichtigungen. Eine weitere Möglichkeit, das „Kaltstart“-Problem oder „Newcomer-Dilemma“ anzugehen, ist es, Reputation transferfähig zu machen, indem man Bewertungen anzeigt, die aus einem anderen als dem aktuellen Kontext stammen. Beispielsweise könnten dann neue Gastgeber auf Airbnb auf ihre Historie als seriöse und vertrauenswürdige Person auf einer anderen Plattform wie BlaBlaCar zurückgreifen. Erste Studien zeigen, dass importierte Sterne-Ratings tatsächlich über Plattformgrenzen hinweg vertrauensfördernd wirken. Vor allem der Transfer von Bewertungen für thematisch passende Plattformen funktioniert sehr gut. Etwas überraschend erwiesen sich aber auch Bewertungen aus ganz anderen Kontexten als sehr effektiv und vorteilhaft. Trotz dieses offensichtlichen Potenzials gibt es keine breite Akzeptanz und noch kaum praktische Anwendungen für den Reputations-Transfer.

 

Sterne als Navigationshilfe – (noch) nicht Autopilot-tauglich
Es ist beinahe schwindelerregend, wie viel Einfluss Sterne-Ratings und verbale Beurteilungen in vielen Bereichen des (elektronischen) Handels und auf Plattformen der Sharing Economy gewonnen haben. Damit Bewertungen halten, was sie versprechen, nämlich vertrauenswürdige Transaktionen zwischen Fremden zu ermöglichen, müssen noch viele Herausforderungen gelöst werden. Die Verantwortung für die Bewältigung dieser Herausforderungen liegt im Wesentlichen bei vier Gruppen von Akteuren: den Plattformbetreibern, den Anbietern von Leistungen, den Konsumenten und den Regulierungsbehörden.

Wer sicher durch die Welt der Plattformen navigieren will, sollte noch nicht an den Autopiloten übergeben.

Plattformbetreiber, die ihre Daseinsberechtigung nicht aufs Spiel setzen wollen, müssen Reputationssysteme mit minimalen negativen Effekten entwickeln und heikle Entscheidungen zu Art und Intensität von Kontrollmechanismen treffen. Durch einen weniger strengen Ansatz, beispielsweise den einer Algorithmus-unterstützten Betrugserkennung, können Plattformen das Risiko von Fake Reviews wohl nicht ausreichend reduzieren. Wenn sie hingegen allzu rigorose Richtlinien implementieren, könnten auch ehrliche Informationen blockiert werden und damit die Veröffentlichung relevanter Erfahrungen verhindert.
Anbieter und Konsumenten können zur Wirksamkeit von Online-Reputationsmechanismen beitragen, indem sie ehrlich und aktiv bleiben. Wahrheitsgetreue Bewertungen – auch wenn sie negativ ausfallen – helfen anderen Teilnehmern der Sharing-Plattform, fundierte Entscheidungen zu treffen.
Den Regulierungsbehörden obliegt es, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der ein dynamisches und vertrauenserweckendes Marktumfeld gewährleistet. Daran arbeitet auch die EU, und sie wünscht sich von der Forschung Erkenntnisse zu potenziellen Vorteilen und zugrunde liegenden Mechanismen, zum Beispiel über den Transfer von digitaler Reputation. Die Allgemeine Datenschutzverordnung (DSGV0), insbesondere ihr Artikel über die Portabilität von Daten, kann als ein erster Schritt in diese Richtung angesehen werden, da sie Plattformbetreibern vorschreibt, bestimmte Daten frei zugänglich zu machen.

Die ergriffenen Maßnahmen und das Zusammenspiel der vier Hauptakteure werden letztlich darüber entscheiden, wie sehr es den wirtschaftlich immer stärker etablierten Sharing-Plattformen gelingen wird, die aktuellen Herausforderungen der Vertrauensbildung zu bewältigen. Vorläufig ist es wohl noch ratsam, selbst am Steuer zu bleiben und neben Sternen auch andere Orientierungspunkte zur Navigation durch die Sharing Economy zu nutzen. Wer sicher durch die Welt der Plattformen navigieren will, sollte noch nicht an den Autopiloten übergeben.

Autor/en

Mareike Möhlmann, Incoming Assistant Professor, Bentley University, US, mareike.moehlmann@gmail.com
Timm Teubner, Assistant Professor, TU Berlin, Germany, teubner@tu-berlin.de

Literaturhinweise

Möhlmann, M.; Teubner, T.; & Graul, A. (2019): “Trust and reputation in sharing economies,” in Handbook of the Sharing Economy, R. Belk; G. M. Eckhardt; and F. Bardhi (eds.), Edward Elgar Publishing, 290–302.

Hawlitschek, F.; Teubner, T.; Adam, M. T. P.; Borchers; N.; Möhlmann, M.; & Weinhardt, C. (2016): “Trust in the sharing economy: An experimental framework,” in ICIS 2016 Proceedings, 1–14.

Mazzella, F.; Sundararajan, A.; D’Espous, V.; & Möhlmann, M. (2016): “How digital trust powers the sharing economy”, IESE Insight, Third Quarter (30), 24-31.

Teubner, T.; & Hawlitschek, F. (2018): “The economics of peer-to-peer online sharing,” in The Sharing Economy: Possibilities, Challenges, and the way forward, P. Albinsson and Y. Perera (eds.), Praeger Publishing, 129–156.