MIR: Das Standardrezept bei Risiken ist für Finanzmanager die Diversifikation. Kann man auch Markenrisiken durch Diversifizierung steuern?
Patrick Marrinan: In der Finanzwelt ist Risiko ein Werkzeug um die Erträge zu steuern. Das Risiko kann relativ einfach berechnet und durch Diversifizierung reduziert werden. Die Entwicklung einer Marke erfordert beträchtliche Investitionen in viele verschiedene Aktivitäten, und die Wahrscheinlichkeiten für entsprechende Rückflüsse sind viel schwieriger exakt zu berechnen. Auf dieser Ebene kann man Risiken nicht in gleicher Weise diversifizieren. Das funktioniert für klar abgegrenzte Aktionen, wie beispielsweise digitale Werbung oder Fernsehwerbung, die Zusatzverkäufe zum Ziel hat, aber nicht auf einer höheren Ebene. Marketingrisiko wegzudiversifizieren ist ziemlich schwierig.
MIR: Wie können Führungskräfte in einem aufgeladenen Umfeld Verhaltensrisiken managen?
Patrick Marrinan: Corporate-Social-Responsibility-(CSR-)Aktivitäten greifen Aspekte von Verhaltensrisiken in positiver Art und Weise auf und ersetzen teilweise traditionelle Wege der Markenkommunikation. Die Kraft Heinz Company erweitert beispielsweise ihre CSR-Programme und ich denke, dass CSR ein für sie sehr vorteilhaftes Konzept ist.
MIR: Das heißt, CSR könnte eine vorbeugende Strategie gegen Verhaltensrisiken sein. Gibt es noch andere Risikomanagement-Strategien, die man ins Auge fassen könnte?
Patrick Marrinan: In unserem Unternehmen MSA konzentrieren wir uns auf sozio-ökonomische Risiken. Wir haben Messinstrumente und einen Beurteilungsprozess entwickelt, der in eine Score Card für Markenrisiken einfließt. Konkret gibt es bei uns drei Themenbereiche, für die wir Kennzahlen erheben und dann mit Benchmarks vergleichen. Diese sind unternehmensdemografische Daten, sozio-ökonomische Einflussfaktoren auf die Marke und vorangegangene Risiko-Event-Erfahrungen der Marke und der gesamten Branche. Wir beurteilen Sichtbarkeit und Bedrohungspotenzial der hoch eingestuften Risiken.
MIR: Die Messung entsprechender Risiken ist also Teil der Antwort. Wie gehen Sie weiter vor?
Patrick Marrinan: In Workshops entwickeln wir dann übergeordnete Strategien, um Risiken vorzubeugen oder mit ihnen umzugehen, oder wir entwickeln alternative Marketingmöglichkeiten, um gegenzusteuern. Dabei setzen wir auf verschiedene Szenario-Techniken für unterschiedliche Risiken. Wir arbeiten mit individuell angepassten, echten Fallbeispielen aus dem Unternehmen der Kunden und zeigen ihnen, wie ihre Marken zur Zielscheibe von Aktivisten boykottiert oder anders angegriffen werden können. Mit Chancen- und Gefahrenanalysen zeigen wir, wie man mögliche Risiken frühzeitig erkennt. Wir liefern Marketingwissen, das unmittelbar zur Risikoreduktion genutzt werden kann. Wir sind davon überzeugt, dass Unternehmen, die vorbereitet sind, Krisen viel besser meistern können.
MIR: Wer nimmt an solchen Workshops teil? Sind es die Marketingabteilungen, die für das Management von Markenrisiko verantwortlich sind?
Patrick Marrinan: Wir arbeiten meist auf Bereichsleiterebene. CMOs und andere Top-Marketingleute sind Fixstarter. Wir versuchen allerdings immer, auch die Finanzleiter und den Investor-Relations-Bereich miteinzubeziehen. Manchmal ist es schwierig, in einem reinen Marketingumfeld ein Risikokonzept zu implementieren, und es gelingt unseren Kunden, mehr Zugkraft zu entwickeln, wenn ein breiterer Konsens besteht. Finanzleiter sind da sehr hilfreich, weil sie mit Risikomanagementkonzepten vertraut sind. Außerdem sind sie für das Reporting der Ergebniszahlen an die Geschäftsleitung zuständig und haben deshalb großes Interesse daran, dass diese Zahlen korrekt und ausgewogen sind.
MIR: Warum gibt es diese Lücke? Wie könnten wir bei einem Marketingpublikum mehr Zugkraft beim Thema Markenrisiko erreichen?
Patrick Marrinan: Ich denke, dass es immer üblicher wird, Markenrisikopositionen in SEC-Berichte aufzunehmen und das wird sicherlich helfen. Bereits heute findet man vereinzelt den einen oder anderen Aspekt des Markenrisikos, wie beispielsweise Reputationsrisiko oder Social-Media-Risiko in SEC-10-K-Berichten, aber weit verbreitet ist diese Praxis noch nicht. Das Marketing war immer mehr auf Ertragssteigerungen oder sehr disziplinspezifische Kennzahlen wie Tausenderkontaktpreise, Share of Voice oder Klickraten fokussiert. Vielleicht liegt es an der anderen Fachsprache. Aber in einem stagnierenden Marktumfeld haben Geschäftsführer ein echtes Interesse daran, Risiken besser zu verstehen. Finanzleiter wollen keine unnötigen Risiken eingehen und haben großes Interesse daran, in Marketingabteilungen ein proaktives und umfassendes Risikomanagementsystem zu implementieren.
MIR: Sind Marketingleute überhaupt fähig dazu, ein Risikomanagement für ihre Marken auszuüben, sind sie dafür ausreichend ausgebildet?
Patrick Marrinan: In den meisten Unternehmen gibt es keine Marketingmitarbeiter, die das können. Generell muss zuerst realisiert werden, dass es identifizierbare Risiken gibt, wenn man Millionen Dollar in Entwicklung, Einführung, Werbung und Vertrieb eines neuen Produkts investiert. Markenrisikomanagement ist derzeit in MBA-Programmen nicht wirklich abgedeckt. Aus meiner Sicht sollten Uni-Kurse über das Thema Krisenmanagement hinausgehen und sich auch damit beschäftigen, wie man Risiken vermeidet und Schäden an der Marke verhindert. Die Diskussionen über dieses Thema könnten dann fundierter ablaufen.
MIR: Könnten Sie abschließend noch einmal die konkreten Schritte zusammenfassen, die Sie Unternehmen für ein proaktives Management von Markenrisiken empfehlen?
Patrick Marrinan: Bei MSA empfehlen wir vier Schritte. Als Erstes müssen Unternehmen ihr Risikopotenzial durch entsprechende Kennzahlen und Benchmarking erheben und mit anderen Unternehmen ihrer Peergroup vergleichen. Als Zweites sollte man interne Marketingprozesse überprüfen, um eventuelle Lücken zu finden und Lösungen zu entwickeln. Dabei sind intensive Workshops mit Teilnehmern unterschiedlicher Funktionen hilfreich, da man ein gemeinsames Verständnis für das Thema entwickeln kann. Der dritte Schritt ist der Einsatz von Szenario-Techniken, auf deren Basis man dann Prozesse entwickelt, die Unternehmen auf die Handlungsfähigkeit in möglichen Krisenfällen vorbereiten. Als Viertes sollte man ein Risiko-Monitoring-System aufbauen, für das man Instrumente wie automatisierte Social-Media-Analysen und Medienscreenings nutzt, und das dem Management als Frühwarnsystem dient.
MIR: Vielen Dank für Ihre wertvollen Tipps und Ihre interessanten Ausführungen zu den Veränderungen in unserer Gesellschaft und den neuen Risiken und Herausforderungen im Branding.