E-Commerce für tägliche Verbrauchsgüter; Nische oder Wachstumsmarkt?

Oktober 2016

Ein durchschnittlicher Feierabend in Deutschland: An den Supermarktkassen werden die Schlangen länger, Kunden eilen durch die Regalreihen, um noch rasch die nötigen Zutaten für das Abendessen einzukaufen. Wird das Gedränge vor Regalen und Theken bald Geschichte sein? Die Voraussetzungen dafür sind zumindest bereits geschaffen – schließlich bietet der Handel auch bei den täglichen Verbrauchsgütern mittlerweile digitale Bestellmöglichkeiten und Lieferservices. Doch wenn es um den Einkauf von Lebensmitteln und anderen schnelllebigen Gütern wie Drogerieartikel geht, greifen die Deutschen derzeit nur selten zu Laptop oder Smartphone.

Der digitale Wandel ist nicht nur ein viel diskutiertes und beschriebenes Phänomen, er zeigt sich ganz konkret, zum Beispiel in unseren Innenstädten. Einzelhandelsgeschäfte schließen, die Leerstände nehmen zu. Ein Grund: Die Deutschen gehen für bestimmte Produkte nicht mehr eigens in ein Fachgeschäft, sondern bestellen sie bequem online. Computer und das passende Zubehör, Musik, Filme und Software werden bereits zu mehr als 40 Prozent über das Internet vertrieben. Doch im größten Einzelhandelsbereich, bei Lebensmitteln und Drogeriewaren, ist vom Trend zum Internet-Shopping kaum etwas zu spüren. Im Jahr 2015 wurde bei den täglichen Verbrauchsgütern gerade einmal 1 Prozent des Umsatzes online erwirtschaftet. Dies zeigen Daten aus GfK Consumer Panel und POS Tracking.

Online-Renner: Alles rund um Computer, Musik und Film

In anderen Einzelhandelssegmenten zeigt sich schon ein anderes Bild: Neben den genannten Produkten aus der Medien- und Computerwelt werden vor allem Spielwaren (Online-Anteil 34 Prozent), Foto-Produkte (30 Prozent), Elektrokleingeräte sowie Bücher und Kalender (jeweils 29 Prozent) online gekauft. Auch in den Bereichen Telekommunikation, Beauty und Gesundheit sowie multifunktionale Technik (wie etwa Kopfhörer) wird etwa jeweils ein Viertel der Umsätze online erzielt, gefolgt von Sport- und Freizeitprodukten (23 Prozent) und Unterhaltungselektronik (21 Prozent). Das Online-Geschäft mit Auto- und Motorradzubehör macht 20 Prozent aus, etwas weniger, nämlich 17 Prozent, sind es bei Elektrogroßgeräten sowie Lifestyle-Produkten und Fashion. Mit Küchen und Möbeln werden online immerhin noch 12 Prozent erwirtschaftet, ebenso groß ist der Anteil bei Glühbirnen und Leuchtmitteln, gefolgt von Do-it-yourself-Produkten (11 Prozent) und Garten- und Grillgeräten (9 Prozent). Optikbedarf und Brillen werden deutlich seltener im Internet gekauft: Der Online-Anteil liegt bei nur 4 Prozent – aber damit immer noch drei Prozentpunkte über dem der täglichen Verbrauchsgüter.

Offenbar gibt es gerade bei Internetbestellungen von Lebensmitteln und anderen täglichen Verbrauchsgütern noch Barrieren zu überwinden. Liegt es daran, dass man Nahrungsmittel lieber „in natura“ sehen möchte anstatt virtuell den Einkaufskorb zu befüllen? Oder daran, dass so ein Online-Shopping-Trip zwar vom Sofa aus möglich ist, der Kunde aber vorab wissen muss, wann er die Lieferung in Empfang nehmen kann. Und was, wenn man nur eben einen Liter Milch oder ein paar Eier vergessen hat? Will man wirklich mehrere Stunden warten? An der grundsätzlichen Offenheit der Menschen für diese Shopping-Variante scheint es jedenfalls nicht zu liegen. Denn ein Blick auf die Haushaltsreichweite zeigt, dass jeder fünfte Haushalt hierzulande schnelllebige Verbrauchsgüter gelegentlich bequem vom Rechner oder dem Smartphone aus ordert. Im internationalen Vergleich kann Deutschland hier durchaus mit  anderen europäischen Ländern mithalten: In Frankreich und dem Vereinigten Königreich kaufen nur 3 bzw. 4 Prozent mehr, also knapp ein Viertel der Haushalte, gelegentlich Lebensmittel und Drogerieartikel im Internet. Doch sie verschaffen dem Online-Handel in diesem Segment deutlich höhere Marktanteile von 4 bzw. 6 Prozent. Noch größer sind die Unterschiede, wenn man über den europäischen Tellerrand hinausblickt: In Südkorea beispielsweise bestellen 60 Prozent der Haushalte hin und wieder schnelllebige Produkte online. Das beschert den Online-Händlern einen Markanteil von 13 Prozent. 

Motive für den Online-Kauf: Käufertyp entscheidet

Was können Einzelhändler wie Rewe, Edeka und Co. also tun, um ihre Kunden nicht nur im Laden, sondern auch im Internet zu für sich zu gewinnen? Zunächst einmal sollten sie tatsächliche und potenzielle Online-Käufer und deren Motive kennen. Dabei kann eine Analyse der GfK-Daten helfen, die verschiedene Kundengruppen im Vergleich abbilden: Zum einen die sogenannten Heavy Buyer, die bereits heute 14 Prozent ihres Bedarfs per Online-Bestellung decken, zum anderen  die sogenannten Medium Buyer, die immerhin 1,7 Prozent ihrer benötigten FMCG-Ware im Internet kaufen. Natürlich gibt es daneben nach wie vor eine sehr große Gruppe von „Non Buyern“, die ihren Bedarf an täglichen Verbrauchsgütern ausschließlich im Laden decken. Diese drei Gruppen weisen logischerweise verschiedene Altersstrukturen auf. Doch  wenn man sie normiert, sodass rechnerisch jede Gruppe dieselben Anteile an jüngeren und älteren Menschen beinhaltet / umfasst – werden jenseits von Alterseffekten tatsächliche Unterschiede sichtbar.

Man könnte nun vermuten,  dass vor allem besonders gestresste Menschen auf die Online-Warenwelt ausweichen und zu „Buyern“ werden, doch das ist ein Irrtum. In jeder der drei Gruppen ist der Anteil der überdurchschnittlich stressgeplagten Menschen ähnlich groß. Online-affine Käufer beklagen sogar etwas seltener das Problem des Zeitmangels als Non Buyer – also kann Zeitstress nicht der ausschlaggebende Faktor beim Thema Online-Shopping sein. Auch wird die Anzahl der physischen Einkaufstouren gar nicht durch die Online-Einkäufe reduziert. Wer im Internet kauft, will Ausflüge in  Einkaufszentren, Supermärkte und Discounter nicht generell vermeiden. Stattdessen erscheint die Anzahl solcher physischer Shopping-Trips recht unabhängig vom Online-Einkaufsverhalten.  Was aber sind dann die Ursachen?

Heavy Buyer mögen’s bequem, Medium Buyer ergänzen gezielt ihren „Einkaufskorb“

Eine konkrete Nachfrage nach den Gründen für solche Käufe bringt hier Licht ins Dunkel. Die Heavy Buyer freuen sich an allererster Stelle ganz simpel über ein Plus an Bequemlichkeit, wenn sie online Lebensmittel kaufen: Für 30 Prozent dieser Käufer ist der Convenience-Aspekt Hauptgrund für den Internet-Einkauf. Wobei das Angebot eines Lieferservices mit Nennungen von 20 Prozent offenbar eine zentrale Rolle für dieses Argument spielt. Im Gegensatz dazu stehen für die Medium-Buyer eindeutig Kostenersparnisse und die vertriebliche Exklusivität der Produkte (= nur online erhältlich)  (mit 28 bzw. 27 Prozent) und damit fast gleichrangig an vorderster Stelle. Beides sind deutlich ‚kopfgesteuerte‘ Motive.

Kostenargumente sind natürlich auch für Heavy Buyer relevant. So werden günstige Preise von fast jeden fünften Befragten dieser Gruppe an dritter Stelle der Argumente (als drittwichtigstes Argument?) genannt. Wenig relevant ist für sie dagegen die Tatsache, dass bestimmte Produkte nur im Internet zu finden sind (12 Prozent). Bei den Medium Buyern nennen wiederum nur 11 Prozent Bequemlichkeit als Grund für ihren Einkauf im Netz. Einig sind sich die beiden Gruppen lediglich bei den Aspekten „Zeitersparnis“ und „große Produktauswahl“. Der geringere Zeitaufwand wird – wie schon vermutet– nur von 13 bzw. 10 Prozent als Grund genannt, online zu shoppen. Bei der generellen Angebotsbreite sind es 12 bzw. 10 Prozent.

Warenkörbe: Medium Buyer wählen online gezielt aus

Die unterschiedlichen Motive für den Online-Einkauf zeigen sich nicht nur in den Antworten der Befragten, sondern auch beim Blick in die E-Commerce-Warenkörbe. Wer beim Einkaufen größtmögliche Bequemlichkeit schätzt, der füllt seine Regale via Mausklick mit allen möglichen Produkten. Und so deckt der Warenkorb des Heavy Buyers auch so gut wie alle Warengruppen ab: Gemüse macht mit 10 Prozent den größten Anteil aus, Kosmetika mit 2 Prozent den kleinsten, die übrigen Produktgruppen liegen mit Werten zwischen 5 und 7 Prozent dazwischen. Der Warenkorb der Medium Buyer sieht ganz anders aus: Diese Käufer, die vor allem auf der Suche nach nicht überall erhältlichen Produkten und Schnäppchen sind, greifen online vor allem zu Körperpflegeartikeln (22 Prozent), aber auch zu alkoholischen Getränken (12 Prozent) oder Kaffee (10 Prozent). Frische Produkte wie Obst und Gemüse sind im Online-Warenkorb dagegen nur selten zu finden. Wer nur gelegentlich online einkauft, der nutzt das Internet offenbar als  passgenaue Ergänzung zum Laden vor Ort.  

Doch was heißt das nun für die Händler, die das Marktpotenzial beim Online-Shopping für sich nutzen möchten? Noch stehen sie vor Herausforderungen: Wer Lebensmittelbestellungen online annimmt und dann die Ware auch noch ausliefert, muss über die entsprechende Logistik verfügen, lückenlose Kühlketten garantieren und die verschiedensten Produkte in kurzer Zeit liefern können.  Supermarktketten und Discounter wie Rewe, Real oder Lidl, die den Internet-Einkauf von schnelllebigen Verbrauchsgütern schon möglich machen, bieten derzeit manchmal noch ein reduziertes Sortiment mit Lieferservice in einzelnen meist urbanen Regionen. Doch das könnte sich ändern. Der Online-Händler Amazon bietet inzwischen auch Lebensmittel per Mausklick zum Kauf an und liefert sie an seine Kunden – zumindest in Großbritannien. Ob der Dienst auch in Deutschland an den Start gehen wird und wie sich das auf hiesige Supermärkte und Discounter auswirkt, darüber wird heftig spekuliert und diskutiert. Vielleicht würde Amazon mit seiner Idee hierzulande den klassischen Lebensmittelhändlern online den Rang ablaufen und so zum neuen Konkurrenten werden. Vielleicht aber braucht es genau diesen Anschub, um das Online-Geschäft insgesamt anzukurbeln, wie der Journalist Michael Scheppe schon vor über einem Jahr im „Handelsblatt“ vermutete als er schrieb: „Der Start von Amazon Fresh dürfte für den deutschen Markt ein Startschuss für den Online-Handel mit Lebensmitteln sein.” Ein Startschuss, von dem letztlich viele profitieren könnten.


Quelle: GfK Tagung 2016, aus dem Vortrag von Thomas Bachl;  Weitere Informationen zum Vortrag

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