Forschung
Globales Technologieklima: Wer begrüßt neue Technologien, wer fürchtet sie?
Wir leben in einer Zeit bedeutender technologischer Umwälzungen. Neue technologische Trends wie künstliche Intelligenz können unsere Arbeitsweise und unsere Interaktion miteinander grundlegend verändern. Die Gestaltung solcher Veränderungsprozesse durch Politik und Unternehmen erscheint vor diesem Hintergrund ratsam.
Technologischer Wandel kann jedoch nicht allein durch Verordnungen erzwungen werden. Der entscheidende Faktor ist die Bereitschaft der Menschen, mit Innovationen zu experimentieren und sie in ihren Arbeitsalltag zu integrieren. Führungskräfte müssen daher ein Verständnis für die gesellschaftliche Haltung gegenüber technologischem Wandel entwickeln.
Aber warum lösen neue technologische Trends bei manchen Menschen Begeisterung und Optimismus aus, während andere eher mit Ablehnung reagieren? Eine neue, groß angelegte Studie des Nürnberg Institut für Marktentscheidungen (NIM) gibt Aufschluss darüber, was die Einstellung gegenüber aktuellen technologischen Trends weltweit beeinflusst.
Forschungsmethodik
Das NIM-Forschungsteam führte zwischen Dezember 2024 und März 2025 eine repräsentative globale Befragung bei über 25.000 Menschen in 25 Ländern durch. Die Stichprobe umfasst fast alle G20-Länder (mit Ausnahme von China, Russland und Saudi-Arabien). Weitere Länder wurden ausgewählt, um eine ausgewogene Vertretung von Industrie- und Schwellenländern gemäß der Klassifizierung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu gewährleisten. Insgesamt repräsentieren die befragten Länder etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung und 68 Prozent des weltweiten BIP. Die Studie stellt somit eine einzigartige und umfassende Untersuchung über die Haltung von Menschen zu neuen Technologien dar.
Die Forscher untersuchten die allgemeinen Erwartungen der Befragten an „neue Technologien” und deren voraussichtliche Auswirkungen in den nächsten fünf Jahren. Wichtig dabei ist, dass der Fragebogen nicht auf bestimmte, vorab selektierte Technologien abzielte, sondern gefragt wurde, welche technologischen Entwicklungen die Befragten derzeit als die wichtigsten ansehen. Dieser Ansatz ermöglicht es den Forschern, die allgemeine Einstellung der Befragten zu aktuellen technologischen Entwicklungen zu messen, ohne sie durch die Fragebogengestaltung zu beeinflussen.
Die Befragten wurden eingeladen, die erwarteten Auswirkungen neuer Technologien in mehreren Dimensionen zu bewerten, darunter ihre persönliche wirtschaftliche Situation, ihr persönliches Glück und das wirtschaftliche Wohlergehen ihres Landes. Auf der Grundlage der Antworten erstellten die Forscher einen Technologieklima-Score. Der Technologieklima-Score gibt nicht nur an, wie Nationen über aktuelle technologische Trends denken, sondern enthält auch die Einschätzung der Bürger auf Individualebene.
Key Results
Wirtschaftlicher Wohlstand vs. Technologieoptimismus
Weltweit erwarten 70 Prozent der Befragten in den nächsten fünf Jahren mehr technologischen Wandel als in den vergangenen fünf Jahren. Die Erwartung einer Beschleunigung ist in allen Ländern vorhanden, wobei die Schwellenländer etwas höhere Werte für den erwarteten Wandel aufweisen.
Bemerkenswert ist, dass die Bürger in wohlhabenden Ländern im Durchschnitt einen geringeren Technologieoptimismus zum Ausdruck bringen, obwohl in ihren Länder oft eine überlegene technologische Infrastruktur und Fähigkeiten des Umgangs vorhanden sind. Überhaupt zeigt die Studie eine starke negative Korrelation zwischen dem Pro-Kopf-BIP und dem Technologieoptimismus. Länder mit einem höheren Pro-Kopf-Einkommen weisen durchweg eine geringere Begeisterung der Bevölkerung für technologische Veränderungen auf. Dieser Zusammenhang bleibt auch dann statistisch signifikant, wenn demografische Unterschiede zwischen den Ländern wie Alter und Bildungsniveau berücksichtigt werden. Dieses Ergebnis widerspricht der Erwartung, dass technologisch fortgeschrittene Nationen am empfänglichsten für Innovationen sind. Offenbar gehen technische Fähigkeiten und die öffentliche Meinung nicht Hand in Hand, was zu potenziellen Diskrepanzen zwischen nationalen Technologiestrategien und der Unterstützung durch die Bevölkerung führen kann.
Demografie vs. Werte
Auf individueller Ebene lassen demografische Faktoren Rückschlüsse auf die Einstellung gegenüber Technologie zu: Jüngere Menschen, Personen mit höherer Bildung und höherem Einkommen sowie Männer neigen zu größerem Technologieoptimismus.
Die Forscher untersuchten darüber hinaus auch den Zusammenhang von Technologieoptimismus und persönlichen Werte anhand eines standardisierten psychologischen Fragebogens.
Interessanterweise erweisen sich persönliche Werte als teilweise aussagekräftiger als demografische Merkmale allein. Die berufliche Orientierung erwies sich als der stärkste Einzelindikator für Technologieoptimismus: Personen, die viel Wert auf beruflichen Erfolg legen, zeigen unabhängig von Alter, Einkommen oder Bildungsniveau in der Regel eine höhere Begeisterung für Technologie.
Im Ergebnis wird deutlich, dass soziodemografische Faktoren zwar eine Rolle bei der Prägung der Einstellung einzelner Personen gegenüber neuen Technologien spielen, persönliche Werte hier jedoch ebenfalls eine große Bedeutung haben.
Künstliche Intelligenz und Bedenken hinsichtlich Ungleichheit
Auf die Frage nach konkreten „neuen Technologien”, die derzeit von hoher Relevanz sind, nannten die Befragten künstliche Intelligenz (KI) häufiger als jede andere Innovation. Dies zeigt, dass KI für die meisten Menschen an erster Stelle steht, wenn sie über Technologien der Zukunft nachdenken. Die gesellschaftliche Meinung zu KI ist jedoch nach wie vor sehr ambivalent. Die meisten Befragten sehen KI nicht als eindeutig positiv oder negativ, sondern erwarten sowohl gute als auch schlechte Auswirkungen durch diese Zukunftstechnologie.
Im Allgemeinen sind die Menschen weltweit derzeit skeptisch, ob neue Technologien ihr Leben verbessern werden. In fast allen untersuchten Ländern erwarten die meisten Befragten, dass neue Technologien eher zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit als zur Schaffung von Arbeitsplätzen führen werden. Diese Befürchtung ist die am häufigsten genannte Sorge im Zusammenhang mit dem technologischen Fortschritt. Ebenso glauben die meisten Befragten, dass wohlhabende Personen im Vergleich zu wirtschaftlich benachteiligten Menschen überproportional von neuen Technologien profitieren werden. Diese Wahrnehmung herrscht unabhängig vom Grad an Ungleichheit und sozialer Absicherung vor, was auf tiefsitzende Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen der Technologie auf den sozialen Zusammenhalt hindeutet.
Wie sollten Regierungen auf solche Bedenken reagieren? Eine Mehrheit der Befragten in den meisten Ländern ist der Meinung, dass Regierungen die Hauptverantwortung dafür tragen sollten, dass neue Technologien der Bevölkerung zugutekommt. Ein erheblicher Teil der Befragten bezweifelt jedoch, dass ihre Regierungen in der Lage sind, das zu leisten.
Implikationen und strategische Überlegungen
Die globale Kluft im Technologieoptimismus stellt international tätige Unternehmen vor Herausforderungen, bietet aber auch Chancen. Unternehmen müssen bei der Einführung neuer Technologien je nach Markt mit sehr unterschiedlichen Erwartungen und Bedenken der Öffentlichkeit umgehen. Wer erfolgreich sein will muss verstehen, dass die Einführung von Technologien mehr als nur die technische Machbarkeit erfordert.
Unternehmen sollten vor diesem Hintergrund differenzierte Strategien entwickeln, die den unterschiedlichen Erwartungen Rechnung tragen, auf spezifische regionale Bedenken eingehen und die Begeisterung in Schwellenländern nutzen, während sie gleichzeitig mit der Skepsis in fortgeschrittenen Volkswirtschaften umgehen. Die Untersuchung legt überdies nahe, dass persönliche Werte – insbesondere die berufliche Orientierung – mehr über die Aufgeschlossenheit gegenüber Technologien aussagen als Faktoren wie Alter, Einkommen oder Bildung. Unternehmen sollten das bei der Ansprache von Zielgruppen berücksichtigen.
Key Insights
- Die Akzeptanz neuer Technologien hängt von der Stimmung ab, nicht nur vom Zugang: Selbst in Märkten mit fortschrittlicher Infrastruktur kann Skepsis gegenüber neuen Technologien die Einführung verlangsamen. Unternehmen müssen die Einstellung der Gesellschaft berücksichtigen, nicht nur ihre technische Bereitschaft.
- Schwellenländer bieten Wachstumschancen: Der hohe Optimismus in den Entwicklungsländern deutet darauf hin, dass die Gesellschaften in diesen Regionen vergleichsweise offen für den Einsatz neuer Technologien sind. Unternehmen könnten Innovationen hier als Wegbereiter für Chancen und Fortschritt positionieren.
- Werte sind oft wichtiger als demografische Faktoren: Die berufliche Orientierung und persönliche Ziele sind zum Teil stärkere Prädiktoren für die Akzeptanz von Technologien als Alter, Einkommen oder Bildung. Dies eröffnet Unternehmen Möglichkeiten für eine präzisere Segmentierung und gezielte Kommunikationsstrategien.
- KI im Brennpunkt: Wenn Menschen über neue Technologien nachdenken, denken sie zur Zeit vor allem an künstliche Intelligenz. Die Technologie wird jedoch nicht nur positiv gesehen, vielmehr löst sie gemischte Reaktionen aus. Führungskräfte sollten dieser Ambivalenz begegnen, indem sie Chancen mit klaren Strategien zur Minderung von Risiken wie Arbeitsplatzverlust oder Ungleichheit in Einklang bringen.
- Das Vertrauen in die Politik ist fragil: Eine Mehrheit der Bürger erwartet von ihren Regierungen die aktive Gestaltung von Technologie. Konkret sollen sie dafür sorgen, dass die Technologie der Gesellschaft zugutekommt. Gleichzeitig ist das Vertrauen in die Fähigkeit der Regierungen gering. Unternehmen, die Verantwortung, Transparenz und Fairness zeigen, können einen Teil dieser Vertrauenslücke schließen und so ihre Kundenbeziehungen stärken.
Projektteam
- Dr. Jakob Kaiser, Senior Researcher, NIM, jakob.kaiser@nim.org
- Dr. Carolin Kaiser, Head of Artificial Intelligence, NIM, carolin.kaiser@nim.org
Kontakt

