
Prompt-Engineering und mehr: Schlüsselkompetenzen für den erfolgreichen Einsatz von generativer KI im Marketing
Prompt-Engineering: DIE Kompetenz im Zeitalter der generativen KI?
Im Laufe der Zeit kommt es immer wieder zu Technologiesprüngen, die die Berufslandschaft nachhaltig verändern. Es ist noch gar nicht so lange her, da waren Stellen für Telefonistinnen, Schreibkräfte oder Stenotypisten für große Unternehmen unverzichtbar. Heute alltägliche Berufe wie Social-Media-Manager oder App-Entwickler waren vor 20 Jahren noch nicht erfunden. Und mit der zunehmenden Verbreitung von generativer KI und Tools wie ChatGPT, MidJourney oder Google Gemini steht ein weiterer tiefgreifender Wandel in der Berufslandschaft bevor. Unter den neu auftauchenden Stellenbezeichnungen wird „Prompt-Engineering“ oft als Job der Zukunft angepriesen. Es ist jedoch wichtig, sich diesen gehypten Begriff und dessen Bedeutung genauer anzuschauen und zu überlegen, was die eigentlichen Kompetenzen sind, die man für die nachhaltige Nutzung des Potenzials generativer KI benötigt.
Das zu lösende Problem ist der Ausgangspunkt
Eine Schlüsselkompetenz für die effektive Integration generativer KI-Systeme in organisatorische Arbeitsabläufe ist die Problemformulierung. Im Gegensatz zum Prompt-Engineering, das sich auf die Entwicklung und Feinjustierung der perfekten Auftragsformulierung konzentriert, ist die Problemformulierung ein strategischer Prozess, in dem festgelegt wird, was überhaupt gefragt ist – die Definition von Fokus, Umfang und Parametern eines Problems. Dieser Zugang ist entscheidend: Ohne ein klar umrissenes Problem verfehlen auch die elegantesten Prompts ihr Ziel. In der Praxis wird der Problemformulierung jedoch oft nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt, da man sich traditionell lieber mit Problemlösungen beschäftigt und den grundlegenden Schritt der Problemformulierung vernachlässigt. Die Formulierung von Marketingaufgaben und -aktivitäten in Form von Problemstellungen – oder Aufgaben, die Marketingexperten lösen wollen – ist der beste Ausgangspunkt für den bewussten Umgang mit neuen KI-Tools. Durch die Formulierung von Problemstellungen können Marketingexperten generative KI zielgerichteter einsetzen und erhalten im Gegenzug KI-Lösungen, die besser auf die spezifischen Marketingherausforderungen zugeschnitten sind. Neben der besseren Fokussierung führt dieser Ansatz auch zu einem problembasierten Hinterfragen von Marketingprozessen und ermöglicht eine Neubewertung strategischer Prioritäten und die Planung intelligenter Experimente. Auch die Abschätzung, wann eine Aufgabe mit Hilfe von KI automatisiert werden sollte, welche menschlichen Tätigkeiten unterstützt werden könnten und wann KI-Einsatz kontraproduktiv wirken kann, wird erleichtert. Die Problemformulierung besteht aus vier Teilaufgaben: Diagnose, Dekomposition, Reframing und Constraint-Design – das Festlegen von Rahmenbedingungen (Abbildung 1).
Um das Potenzial von generativer KI voll auszuschöpfen, müssen Manager eine Reihe ergänzender Fähigkeiten entwickeln.

> Problemdiagnose
Bei der Problemdiagnose geht es in erster Linie darum, das Problem auf den Punkt zu bringen und das spezifische Ziel zu definieren, das durch KI gelöst werden soll. Nehmen wir z. B. ein Unternehmen, das mit einem unerwarteten Umsatzrückgang konfrontiert ist. Bei einem konventionellen Ansatz würde man vielleicht sofort nach Lösungen suchen, wie z. B. mehr Werbung zu schalten oder Sonderaktionen zu starten. Eine strategische Problemdiagnose erfordert jedoch einen Schritt zurück, um zugrunde liegende Ursachen zu untersuchen: Ist ein neuer Mitbewerber eingestiegen, haben sich Kundenpräferenzen geändert oder liegt ein unbemerkter Fehler im Produkt vor? Wenn die KI das Problem genauer kennt, können die daraus gewonnenen Erkenntnisse oder Ergebnisse gezielter auf spezifische Lösungen ausgerichtet werden, anstatt pauschale Versuche zur Umsatzsteigerung zu unternehmen. Mit anderen Worten: Ein gut diagnostiziertes Problem ermöglicht den gezielten Einsatz von KI und erleichtert praktikable Lösungen, die das eigentliche Problem betreffen und nicht nur oberflächliche Symptome bekämpfen.
> Problemdekomposition
Bei der Problemdekomposition geht es darum, komplexe Probleme in kleinere, leichter verdauliche Teilprobleme zu zerlegen. Dies ist besonders wichtig bei komplexen Problemen, die, als Ganzes betrachtet, die Problemlösungsfähigkeiten von Menschen und künstlicher Intelligenz überfordern könnten. Denken wir z. B. an eine E-Commerce-Plattform, die die Kundenbindung steigern will. Dieses übergeordnete Ziel kann in Teilprobleme zerlegt werden, wie z. B. die Verbesserung der Benutzeroberfläche, die Personalisierung des Einkaufserlebnisses, die Straffung des Check-out-Prozesses oder den Ausbau des Kundendienstes. Jedes Teilproblem stellt ein klares Ziel für den KI-Einsatz dar. Wird KI beispielsweise zur Optimierung des Check-out-Prozesses eingesetzt, um die Zahl der Kaufabbrüche zu reduzieren, kann sie spezifische Lösungen oder verbesserte Algorithmen für einen flüssigeren Kaufprozess entwickeln. Durch die Zerlegung in Teilprobleme können Marketingexperten mithilfe von KI jede Komponente zielgerichteter angehen und effektivere und praktischere Lösungen finden, die das Gesamtproblem in Summe besser lösen.
> Problem-Reframing
Beim Problem-Reframing geht es darum, die Herangehensweise an ein Problem zu ändern und neue Perspektiven zu entwickeln. Dadurch können alternative Lösungen aufzeigt werden und Marketingexperten erhalten eine breitere Palette an potenziellen Lösungsvorschlägen. Nehmen wir z. B. ein Handelsunternehmen, das mit sinkenden Besucherzahlen bei Veranstaltungen in seinen Läden konfrontiert ist. Die Herausforderung scheint zunächst einfach: „Wie können wir mehr Besucher zu Veranstaltungen in unsere Läden bringen?“ Mit einer modifizierten Fragestellung kann das Problem jedoch auch ganz anders aussehen: „Könnten wir das Veranstaltungserlebnis auch virtuell produzieren?“ Dieser Perspektivenwechsel kann dazu führen, dass sich die KI von konventionellen Ideen zur Steigerung der Besucherzahlen hin zu innovativen Alternativen wie Virtual-Reality-Shopping oder interaktiven Onlineworkshops bewegt.
> Festlegen von Rahmenbedingungen
Dabei geht es darum, die Grenzen der Problemlösung zu definieren, indem durch Beschränkungen für Inputs, Prozesse und Outputs der Lösungsraum festgelegt wird. Durch die Vorgabe solcher Parameter können die Fähigkeiten der KI strategisch in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Aufgaben, bei denen Produktivität eine Rolle spielt, erfordern oft präzise und strikte Vorgaben. Wenn KI zur Erstellung einer Social-Media-Kampagne eingesetzt wird, könnten beispielsweise demografische Zielgruppen, Budgetlimits und die Ausrichtung an der Markenidentität sinnvolle Beschränkungen sein. Solche Parameter ermöglichen es der KI, passgenaue Ergebnisse zu generieren, die spezifische Marketingziele unterstützen. Wenn jedoch primär Kreativität gefragt ist, sollte man mit Beschränkungen anders umgehen. Die Lockerung, Anpassung oder sogar zeitweilige Aufhebung von Beschränkungen kann zu frischen und neuartigen Ideen führen. Ein sorgfältig definierter Rahmen ermöglicht einer KI hervorragende Lösungsvorschläge, die sowohl innovativ sind als auch mit Kampagnenzielen und dem Markenethos übereinstimmen.

Fokus auf nachhaltige Kompetenzen
Problemformulierungsfähigkeiten zu entwickeln, ist nur der erste Schritt auf dem Weg zur effektiven Nutzung generativer KI-Tools. Wie Abbildung 2 zeigt, müssen Manager eine Reihe ergänzender Fähigkeiten entwickeln, um das Potenzial dieser transformativen Technologie voll auszuschöpfen: zu explorieren, zu experimentieren und kritisch zu bewerten.
Ein gut diagnostiziertes Problem ermöglicht den gezielten Einsatz von KI und erleichtert praktikable Lösungen, die das eigentliche Problem betreffen und nicht nur oberflächliche Symptome bekämpfen.
> Explorieren
In einer Zeit, in der fast wöchentlich neue KI-Tools und -Funktionen angekündigt werden, ist die Fähigkeit, die am besten geeignete KI-Lösung für eine bestimmte Marketingaufgabe zu finden, sowohl wichtiger als auch schwieriger geworden. Von Marketingfachleuten wird nicht nur erwartet, dass sie mit den wichtigsten generativen KI-Tools – wie ChatGPT oder Google Gemini – vertraut sind, sondern sie müssen auch Tools erkunden, die speziell für das Marketing entwickelt wurden oder in diesem Aufgabengebiet besonders nützlich sind. Denken Sie z. B. an Jasper und Lately.ai, die speziell für die Erstellung von Social-Media-Inhalten entwickelt wurden, oder an Text-to-Video-Generatoren wie Runway und Synthesia, die die Erstellung von Marketingvideos vereinfachen können.
> Experimentieren
Angesichts der rasanten Entwicklung ist ständiges Experimentieren eine der praktischsten Methoden, um am Ball zu bleiben. Dieser Prozess geht über passives Beobachten hinaus – es handelt sich um eine dynamische Auseinandersetzung mit KI, die praktische Interaktionen, Testläufe und die sorgfältige Bewertung der Ergebnisse umfasst. Im Branding eröffnet beispielsweise Text-Bild-KI, wie der DALL-E Generator von OpenAI, neue Möglichkeiten der kreativen Erforschung und Mitgestaltung. Ein gutes Beispiel dafür ist die Kampagne „Create Real Magic“ von Coca-Cola. Das Unternehmen hat Konsumenten zu einem Bildgestaltungswettbewerb eingeladen, bei dem sie ein auf ChatGPT und DALL-E aufbauendes Designtool zur Bildgestaltung nutzen konnten. Das aktive Experimentieren mit solchen Tools ermöglicht es Unternehmen, innovative Wege zur Verbesserung von Marketingprozessen und -ergebnissen zu entdecken.
> Kritische Beurteilung
Generative KI-Tools fabulieren manchmal, d. h., sie produzieren ungenaue, unausgewogene oder für einen Kontext unpassende Inhalte. Dies ist nicht nur generell eine große Einschränkung, sondern vor allem dann bedenklich, wenn die KI-generierten Inhalte als Grundlage für strategische Marketingentscheidungen dienen oder direkt an Kunden weitergegeben werden. Die Prüfung durch Menschen mit einem guten Urteilsvermögen hilft, diese Einschränkung zu erkennen und zu entschärfen. Durch eine disziplinierte und aufmerksame Beurteilung des Outputs generativer KI können die mit kreativen Fähigkeiten besser ausgestatteten Menschen unterscheiden, was passt und in einer bestimmten Situation relevant ist und was nicht.
Vom Prompt zur Professionalität
Um die zunehmenden Möglichkeiten generativer KI wirklich nutzen zu können, müssen Manager über Prompt-Engineering hinausdenken. KI-Systeme sind heute schon sehr gut in der Lage, die Intentionen ihrer Nutzer zu verstehen und sogar selbst Prompts zu generieren. ChatGPT-4 kann beispielsweise selbständig aus einfachen Vorgaben komplexe Prompts für die Erstellung von Bildern in DALL-E erzeugen. In einer kürzlich durchgeführten Studie wurde ein neues Ablaufschema namens GATE (Generative Active Task Elicitation) vorgestellt, das mit KI-generierten Prompts nicht nur bessere Ergebnisse erzielte als menschliche Eingaben, sondern auch neuartigere und weiterreichende Vorschläge erzeugte, als von den Nutzern ursprünglich erwartet. Um bei dieser neue Transformationswelle vorne mit dabei zu sein, müssen Marketingexperten konsequent und kontinuierlich experimentieren, lernen und sich weiterentwickeln. Es geht nicht nur um die gründliche und proaktive Erforschung neuer KI-Tools und von deren Grenzen, sondern auch um die Weiterentwicklung der Fähigkeit, komplexe Probleme klar zu formulieren und KI-produzierte Ergebnisse kritisch zu bewerten. Während sich das Angebot an generativer KI permanent weiterentwickelt, sind es diese Fähigkeiten – komplexe Probleme zu erkennen und zu formulieren, KI-generierte Lösungen zu analysieren und beim Lernen agil zu bleiben –, die konstant bleiben und den Unterschied zwischen KI-Leadern und Mitläufern ausmachen werden.
LITERATURHINWEISE
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Gvirtz, A., & Acar, O. A. (2023, October 26). Why Text-to-Image AI Requires a New Branding Mindset. Sloan Management Review. sloanreview.mit. edu/article/why-text-to-image-ai-requires-a-newbranding-mindset/
Li, B. Z., Tamkin, A., Goodman, N., & Andreas, J. (2023, October 17). Eliciting Human Preferences with Language Models. Working paper. arxiv.org/pdf/2310.11589.pdf