NIM Marketing Intelligence Review – Generative KI - Die Transformation des Marketings

Kreativ statt repetitiv: Wie KI Verkaufsmitarbeiter entlasten kann

KI-Support Verkaufsunterstützung Verkaufsgespräche Kreativität Organisationsentwicklung

Autorinnen und Autoren

  • Xueming Luo, Charles Gilliland Distinguished Chair Professor of Marketing, Professor of Strategy and MIS, Fox School of Business and Management, Temple University
  • Nan Jia, Dean’s Associate Professor in Business Administration, Marshall School of Business, University of Southern California
  • Zheng Fang, Professor of Marketing, Information Systems and Strategic Management, Business School of Sichuan University, Chengdu, China
  • Chengcheng Liao, Postdoc Researcher of Marketing and Information Systems, Business School of Sichuan University, Chengdu, China
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Chancen und Gefahren der KI in Unternehmen

Viele Unternehmen sehen KI als Partner, der es menschlichen Mitarbeitern ermöglicht, sich auf die Lösung anspruchsvoller Aufgaben zu konzentrieren. KI und Mitarbeiter könnten die Schwächen des jeweils anderen ausgleichen, sich ergänzen und „Augmented Intelligence“ schaffen. Man erwartet beispielsweise, dass KI die Kreativität von Mitarbeitern steigern könnte, indem Bots mühsame Kleinarbeit übernehmen und sich Menschen mehr auf den kreativen Teil ihrer Aufgaben konzentrieren. Die Unterstützung durch KI könnte jedoch auch negativ wirken: Menschliche Mitarbeiter könnten befürchten, dass sie ersetzt werden oder dass die Arbeitsbelastung steigt, weil Aufgaben anspruchsvoller werden.

Durch KI-Unterstützung kann der Verkauf deutlich effizienter, aber auch herausfordernder und intensiver für Verkäufer werden.

KI hat hohes Potenzial im Verkauf

Ein vielversprechender Bereich für die Zusammenarbeit von Menschen und KI ist der Verkauf. KI könnte wiederkehrende und zeitaufwändige Aufgaben übernehmen, wie Daten einzugeben, qualifizierte Interessenten aufzuspüren oder Termine zu planen. Dies würde es Verkaufsmitarbeitern erlauben, sich auf anspruchsvollere, kreative Tätigkeiten wie den Aufbau von Kundenbeziehungen oder das Erzielen von Geschäftsabschlüssen zu konzentrieren, und damit mehr Effizienz und Produktivität ermöglichen. Um zu verstehen, wie KI das kreative Potenzial und die Leistung von Verkaufsmitarbeitern beeinflusst, haben wir einen Feldversuch mit einem großen Telemarketing-Unternehmen durchgeführt (siehe Box 1). Die gestellte Aufgabe bestand darin, Kundenanrufe durchzuführen, die zu einem Verkauf von Kreditkarten führen sollten. Die Aufgabe wurde in einzelne, aufeinander folgende Sequenzen unterteilt. Der erste Teil der Aufgaben umfasste die Generierung von Kundenkontakten – eine gut strukturierte Aktivität, für die etablierte KI-Technologien für Konversations-Bots bereits erfolgreich im Einsatz sind. Darauf folgten Verkaufsgespräche durch Verkaufsmitarbeiter, die die kontaktierten Kunden zu einem Kauf bewegen sollten.

Wie Verkaufsmitarbeiter die KI-Unterstützung bewerten

Obwohl alle Gruppen von Verkaufsmitarbeitern bei ihren Verkaufsgesprächen mit KI-Unterstützung erfolgreicher waren als ohne, zeigten die Interviews bemerkenswerte Unterschiede in der Beurteilung von KI zwischen Top-Verkäufern und weniger qualifizierten Mitarbeitern.

> KI-Unterstützung verändert das Aufgabenspektrum

Ohne KI-Unterstützung beurteilten Verkaufsmitarbeiter die Lead-Generierung als mühsame Arbeit, da nur selten eine echte Kommunikation mit Kunden stattfand. Die meiste Zeit wird damit verbracht, Telefonverbindungen herzustellen und sehr kurze Gespräche zu führen oder überhaupt nicht zu Wort zu kommen, weil Kunden sofort auflegen – falls sie den Anruf überhaupt entgegennehmen. Wenn KI die Aufgabe übernahm, ein anfängliches Interesse zu erheben und Kunden entsprechend vorzuselektieren, stieg die Quote an tatsächlichen Kundengesprächen auf fast 100 %. Das war deutlich effizienter, aber auch herausfordernder und intensiver für Verkäufer. Interessanterweise erlebten hochqualifizierte und weniger qualifizierte Verkäufer diese Veränderung des Aufgabenspektrums und deren Auswirkungen auf ihr psychisches Wohlbefinden sehr unterschiedlich. Obwohl auch hochqualifizierte Verkäufer erkannten, dass mit KI-Unterstützung der Schwierigkeitsgrad ihrer Arbeit zunahm, sahen sie Vorteile für ihre Effizienz und Leistung. Sie fühlten sich ermutigt, weil der veränderte Arbeitsmodus ihre gefühlte Arbeitsleistung verbesserte. Im Gegensatz dazu waren die weniger qualifizierten Verkäufer der Ansicht, dass die Umstellung ihre Arbeitsgeschwindigkeit und -effizienz verringerte, da sie mit der zunehmenden KI-Unterstützung auf mehr ernsthafte und anspruchsvollere Kunden trafen. Aufgrund ihrer begrenzten Fähigkeiten empfanden sie mehr Schwierigkeiten, die Kunden zu einem Kauf zu bewegen.

> Nur Top-Verkäufer waren in der Lage, die gewonnene Zeit für kreativere Lösungen zu nutzen

Alle Qualifikationsniveaus stimmten darin überein, dass die verstärkte Interaktion mit Kunden wertvolles Feedback lieferte, das zu besseren, kontextgerechteren Lösungen führen könnte, und dass es mehr Chancen für die Nutzung des eigenen kreativen Potenzials für neue Szenarien und Sondersituationen gab. Die tatsächliche Wirkung war jedoch bei hochqualifizierten und weniger qualifizierten Verkäufern sehr unterschiedlich. Hochqualifizierte Mitarbeiter profitierten direkt von der KI-Unterstützung, da sie sich stärker auf die Problemlösung und die Entwicklung innovativer Skripte konzentrieren konnten. Das führte auch zu besseren Ergebnissen bei der Bearbeitung anspruchsvoller Kundenanfragen. Umgekehrt fühlten sich weniger qualifizierte Mitarbeiter überfordert und waren nicht in der Lage, in der zusätzlichen Zeit neue oder bessere Antworten oder innovative Lösungen zu finden. Sie hatten jedoch das Gefühl, von den erweiterten Skriptvorlagen profitieren zu können, die ihre leistungsstärkeren Kollegen entwickelt hatten.

Die Studie zeigt, dass Verkäufer mit KI-Unterstützung bei der Beantwortung von neuartigen Fragen signifikant erfolgreicher waren als ohne KI-Unterstützung.

> Top-Verkäufer erlebten mehr positive Emotionen

Beide Gruppen äußerten sich positiv über den Einsatz von KI im Unternehmen und sahen darin ein Zeichen für technologischen Fortschritt und die strategische Weitsicht ihres Unternehmens. Diese Einschätzung wurde von einem Gefühl des Stolzes, der Anerkennung der eigenen Fähigkeiten und der verbesserten Unterstützung durch die Organisation getragen. Die empfundenen Emotionen und die resultierende Motivationslage entwickelten sich jedoch bei hochqualifizierten und weniger qualifizierten Mitarbeitern sehr unterschiedlich. Hochqualifizierte Verkäufer erlebten positive Emotionen, einschließlich einer besseren Stimmung, sowie mehr Motivation, Einsatz und Engagement gegenüber kaufwilligen Kunden. Diese positiven Emotionen ermöglichten auch mehr Kreativität. Im Gegensatz dazu berichteten weniger qualifizierte Verkäufer über negative Emotionen wie Nervosität, mangelnde Motivation und Gefühle der Ablehnung, die hauptsächlich auf die höhere Komplexität der Aufgaben und den Druck, anspruchsvolle Kunden zu überzeugen, zurückzuführen waren. Obwohl sich die Mitarbeiter der potenziellen Gefahr bewusst waren, dass KI in Zukunft ihre Aufgaben ersetzen könnte, unterstützten sie den Einsatz von KI im Unternehmen und waren bereit, sich an den technologischen Fortschritt anzupassen und sich weiterzuentwickeln.

> Hochqualifizierte Mitarbeiter erzielten höhere Verkaufsquoten und sprachen sich für zusätzliche KI-Unterstützung aus

Hochqualifizierte Verkäufer betrachteten die KI-Unterstützung als Erfolgstreiber, der ihnen höhere Effizienz und Qualität ermöglichte und einen positiven Einfluss auf die Erfüllung der wichtigsten Leistungsindikatoren (KPIs) hatte. Weniger qualifizierte Verkäufer äußerten sich frustriert über den geringeren Erfolg bei Verkaufsabschlüssen. Diese Einschätzungen spiegelten sich in den tatsächlich erzielten Verkaufsleistungen wider. Die meisten hochqualifizierten Verkäufer sprachen sich dafür aus, den Einsatz von KI auf die Bearbeitung weniger effektiver Telefonate auszuweiten. Sie waren bereit, aktiv zur Aktualisierung der Trainingsunterlagen und zur Entwicklung neuer Skriptvorlagen beizutragen. Im Gegensatz dazu zogen es viele weniger qualifizierte Verkäufer vor, das bestehende Level der KI-Unterstützung beizubehalten. Sie äußerten Bedenken hinsichtlich des zunehmenden Schwierigkeitsgrads bei der Bearbeitung von Aufgaben, wenn der KI-Einsatz weiter ausgebaut würde.

Unternehmen, die KI einführen, sollten Begleitmaßnahmen vorsehen, um das volle Potenzial von KI auszuschöpfen.

Ergänzende Maßnahmen für die erfolgreiche Implementierung von KI-Unterstützung

Unsere Studie zeigt, dass es möglich ist, die Kreativität und Produktivität der Mitarbeiter durch das Zusammenspiel von KI und Menschen zu steigern. Die sequenzielle Arbeitsteilung zwischen KI und Mitarbeitern, die unserer Studie zugrunde lag, wurde von den meisten Verkäufern begrüßt. Sie führte jedoch nicht bei allen zu einer echten Leistungssteigerung, denn in welchem Maße die Kreativität und die Produktivität durch KI-Nutzung gesteigert werden können, hängt von den Fähigkeiten der Mitarbeiter ab. Fachliche Skills sind entscheidend für die kognitiven Fähigkeiten und psychologischen Effekte, die Kreativität und Problemlösungskompetenzen auf einem höheren Niveau fördern. Unternehmen, die KI einführen, sollten daher Begleitmaßnahmen vorsehen, um das volle Potenzial von KI auszuschöpfen.

> Weiterqualifizierung und Motivation von Verkaufsmitarbeitern

In unseren Interviews forderten weniger qualifizierte Verkaufsmitarbeiter mehr Schulungen und den Erfahrungsaustausch mit hochqualifizierten Kollegen. Schwächere Verkäufer erleben einen „doppelten Verlust“ – durch den Mangel an beruflichen Fähigkeiten an sich und durch negative Erlebnisse in der Arbeit im Team mit KI. Es ist wichtig, diese Erfahrungen und Wünsche nicht zu ignorieren, da viele weniger qualifizierte Mitarbeiter Weiterentwicklungspotenzial haben. Daher sollte jede Einführung von KI mit zusätzlichen Fachschulungen einhergehen, insbesondere für noch wenig erfahrene und weniger erfolgreiche Mitarbeiter. Da eine geringe berufliche Qualifikation doppelt negativ wirkt, bringen Qualifikationsinitiativen auch einen doppelten Gewinn – für die Mitarbeiter selbst und ihre Unternehmen. Weitere ergänzende Maßnahmen könnten darin bestehen, Anreize für die erfolgreiche Integration von KI in Verkaufsprozesse zu schaffen und Abläufe zu entwickeln, bei denen höher qualifizierte Mitarbeiter regelmäßig andere Kollegen über erfolgreiche Ideen informieren, die sie dank KI-Unterstützung entwickeln konnten. 

> Klare Kommunikation über Zweck und Umfang des geplanten Einsatzes von KI

Alle Mitarbeiter waren sich der Gefahr bewusst, in Zukunft durch KI ersetzt zu werden, und äußerten gemischte Gefühle gegenüber der KI. Um die Bedenken der Verkäufer zu zerstreuen, sollten Führungskräfte den beabsichtigten Umfang der KI-Implementierung offen kommunizieren: In unserem Fall ging es um das Abarbeiten klar definierter Schritte und das Ausführen einfacher, sich wiederholender Aufgaben und nicht um die Interaktion mit Kunden in echten, frei gestaltbaren Verkaufsgesprächen. Wenn dieses Setting klar kommuniziert wird, haben die Verkäufer vielleicht weniger Ängste, in einem „Kopf-an-Kopf-Rennen“ mit KI konkurrieren zu müssen. Verkäufer, die sich nicht fürchten, durch KI ersetzt zu werden, sind wohl motivierter, das volle Potenzial der KI zu ihrem eigenen Vorteil und zum Vorteil ihres Unternehmens auszuschöpfen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Unternehmen, die das kreative Problemlösungspotenzial und die Produktivität ihrer Mitarbeiter steigern wollen, die Einsatzmöglichkeiten von KI jedenfalls auf ihrem Radar haben sollten.

LITERATURHINWEISE

Jia, N., Luo, X., Fang, Z., & Liao, C. (2023). When and How Artificial Intelligence Augments Employee Creativity. Academy of Management Journal, 66(4). doi:10.5465/amj.2022.0426

Autorinnen und Autoren

  • Xueming Luo, Charles Gilliland Distinguished Chair Professor of Marketing, Professor of Strategy and MIS, Fox School of Business and Management, Temple University
  • Nan Jia, Dean’s Associate Professor in Business Administration, Marshall School of Business, University of Southern California
  • Zheng Fang, Professor of Marketing, Information Systems and Strategic Management, Business School of Sichuan University, Chengdu, China
  • Chengcheng Liao, Postdoc Researcher of Marketing and Information Systems, Business School of Sichuan University, Chengdu, China


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