Berater oder Gestalter? Wie CMOs als Wachstumstreiber wirken können
Manager wie Wissenschaftler sind sich einig: Keine Unternehmensfunktion ist so wichtig für nachhaltiges und profitables Wachstum wie das Marketing. Laut Accenture wenden sich CEOs vorrangig an Chief Marketing Officers (CMOs), wenn es darum geht, Wachstum zu beschleunigen. Eine Studie von McKinsey zeigt, dass 83 % der weltweit befragten CEOs das Marketing als zentralen Wachstumstreiber betrachten. Trotz dieser klaren Erwartungshaltung variiert die konkrete Ausgestaltung der CMO-Rolle erheblich – insbesondere hinsichtlich des Verantwortungsumfangs. In Unternehmen A etwa trägt der CMO volle Verantwortung für Marketing- und Markenstrategie, Pricing, Risikoanalysen, Produktdesign, Forschung und Datenaufbereitung, PR sowie interne und externe Kommunikation – und steuert damit nahezu alle entscheidenden Wachstumstreiber. In Unternehmen B hingegen beschränkt sich die Rolle des CMOs auf die Umsetzung operativer Werbe- und Verkaufsförderungsmaßnahmen. Obwohl auch hier Wachstum zu den erklärten Zielen gehört, bleibt der Einfluss des CMOs auf die strategische Ausrichtung und Umsetzung dieser Ziele weitgehend symbolisch.
Wenn Erwartungen und Einflussmöglichkeiten auseinanderklaffen: Das Dilemma eingeschränkter CMO-Verantwortung
Ein bewährter Grundsatz bei der Gestaltung von Führungsrollen lautet: Aufgaben und Verantwortlichkeiten sollten mit den Kriterien übereinstimmen, anhand derer Leistung gemessen wird. Ein anschauliches Beispiel hierfür liefert der Sport – konkret: die Rolle des Point Guards im Basketball. Seine Leistung wird typischerweise an Assists, Wurfquoten, Ballverlusten und Steals gemessen – also an Faktoren, die er direkt beeinflussen kann. Kaum jemand würde ihn nach geblockten Würfen, Post-Scoring oder Rebounds bewerten – Kennzahlen, die eher für Center- oder Forward-Spieler relevant sind. Ziel ist es, Bewertungen strikt auf jene Aktivitäten zu beschränken, über die man in der jeweiligen Funktion tatsächlich Kontrolle hat. Übertragen auf das Marketing bedeutet das: Auch der CMO sollte an Maßnahmen gemessen werden, für die er tatsächlich Verantwortung trägt. Idealerweise decken sich sein Verantwortungsbereich und die Bewertungskriterien. In der Realität ist das jedoch nur unzureichend der Fall. Gemeinsam mit Kollegen durchgeführte eigene Untersuchungen zeigen: Bei 33 % der Positionen von CFOs, CMOs und CIOs besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen den Zuständigkeiten und den Leistungserwartungen. Besonders gravierend ist das Problem beim CMO: Bei über der Hälfte aller analysierten CMO-Positionen ist keine klare und konsistente Übereinstimmung erkennbar. Die mangelnde Übereinstimmung bleibt jedoch häufig unbeachtet. Statt strukturelle Ursachen zu hinterfragen, macht die Unternehmensführung bei unzureichender Performance oft vorschnell CMOs persönlich verantwortlich. Die eigentliche Frage – ob die Rolle des CMOs sinnvoll gestaltet ist – wird gar nicht gestellt. Das Ergebnis: eine hohe Fluktuation. Frustrierte CEOs entlassen ihre CMOs oder CMOs verlassen das Unternehmen aus Enttäuschung über die unklaren Rahmenbedingungen. Kein Wunder also, dass CMOs in der C-Suite nach wie vor die kürzeste durchschnittliche Verweildauer haben. Ein zentraler Grund dafür ist die mangelhafte Konzeption der Marketing- und CMO-Funktion – ein strukturelles Defizit, das die effektive Wachstumssteuerung massiv erschwert.


Risiken einer schlecht gestalteten CMO-Funktion
Was passiert, wenn Entscheidungskompetenzen und Beurteilungskriterien nicht übereinstimmen? Lücken können zu Frustration bei den beteiligten Personen führen. Noch problematischer ist, dass das Risiko steigt, gewünschte Ergebnisse nicht zu erreichen. Die Rolle des CMOs wandelt sich von einer Position, in der er Entscheidungsautorität für die Bereiche hat, für die er verantwortlich ist, zu einer Position, in der dies nicht mehr der Fall ist.
Es besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen den Zuständigkeiten des CMOs und den Leistungserwartungen.
> Höheres Risiko bezüglich der Wachstumsziele
Die Verschiebung von einer Gestalter- zu einer Beraterrolle schwächt die Handlungsfähigkeit des CMOs erheblich. Er verliert die Entscheidungskompetenz und muss stattdessen aufwendige Abstimmungs- und Überzeugungsarbeit leisten, um indirekt Einfluss zu nehmen. Wachstumsrelevante Entscheidungen werden von anderen Führungskräften getroffen und entsprechen unter Umständen nicht denen, die der CMO selbst getroffen hätte. Wenn man davon ausgeht, dass CMOs besonders gut dafür qualifiziert sind, Wachstumschancen zu identifizieren und zu nutzen, kann diese Verschiebung in der Verantwortung zu suboptimalen Ergebnissen führen.
Hinzu kommt der Aufwand, die eigenen Vorstellungen intern „verkaufen“ zu müssen. Präsentationen, Abstimmungen und das Schmieden von Allianzen kosten wertvolle Zeit, die effektiver in strategische Planung und Umsetzung investiert werden könnte. Die Situation verschärft sich, wenn es keinen strukturellen Anreiz zur funktionsübergreifenden Kooperation gibt – oder sogar aktiver Widerstand entsteht. Ohne formale Zuständigkeiten ist es für CMOs erheblich schwieriger, Zielvorgaben zu erreichen.
> Entmutigte und frustrierte CMOs
Aus psychologischer Sicht führt eine Konstellation, in der jemand für Ergebnisse verantwortlich gemacht wird, auf die er nur begrenzten Einfluss hat, zu Frustration und erlernter Hilflosigkeit. Dies betrifft nicht nur CMOs persönlich, sondern kann auch gesamte Marketingabteilungen erfassen, wenn die Marketingexperten immer wieder mehr oder minder erfolglos bei anderen Funktionen anklopfen müssen. Auch andere Bereichsleiter mit mehr Entscheidungskompetenzen können durch permanente Beeinflussungsversuche seitens eines CMOs Frustration erleben, wenn sie sich von diesem unter Druck gesetzt fühlen. Wenn schließlich Wachstumsziele verfehlt werden, entsteht auch beim CEO Unzufriedenheit – unabhängig davon, ob die Ursache in der Person oder in der mangelhaft definierten Rolle liegt. Die häufig beobachtete kurze Verweildauer von CMOs erscheint im Lichte solcher Dynamiken nicht überraschend.
> Unklare Rechenschaftspflicht
Wenn Verantwortlichkeit und Kompetenzen nicht deckungsgleich sind, wird auch die Rechenschaftspflicht unklar. Wer ist letztlich verantwortlich, wenn das Wachstum stockt? Der CMO, obwohl ihm zentrale Entscheidungsbefugnisse fehlen? Die mit wachstumsrelevanten Entscheidungskompetenzen ausgestatteten Leiter anderer Funktionen? Oder doch der CEO, bei dem alle Fäden zusammenlaufen? Klar ist: Es ist deutlich einfacher, Leistung zuzuordnen, wenn Handlungskompetenzen und Verantwortung in einer Hand vereint sind.
CMOs haben in der C-Suite die kürzeste durchschnittliche Verweildauer, oft aus Enttäuschung über unklare Rahmenbedingungen.
Die Beraterrolle und funktionsübergreifende Zusammenarbeit sind nicht das Gleiche
Das Kontinuum vom Gestalter zum Berater besteht unabhängig von üblichen funktionsübergreifenden Abstimmungsnotwendigkeiten. In jedem Unternehmen ist eine gewisse Koordination zwischen Bereichen notwendig, um an einem Strang zu ziehen – ähnlich wie in einem Basketballteam, in dem der Point Guard mit dem gesamten Team interagiert. Interne Kooperation entbindet jedoch nicht davon, Entscheidungskompetenz mit Verantwortung in Einklang zu bringen. Je mehr CMOs in Rollen gedrängt werden, in denen sie lediglich beraten, aber nicht entscheiden können, desto größer ist das Risiko, ineffizient zu entscheiden und eine schlechtere Unternehmensperformance zu erreichen.
Was Führungskräfte tun können, um die CMO-Rolle wirkungsvoller zu gestalten
Es gibt drei wichtige Ansatzpunkte für CMOs, CEOs und Aufsichtsräte, um die Risiken zu verringern und die unternehmerische Leistungsfähigkeit durch eine bessere Gestaltung der CMO-Rolle zu steigern.
> CMOs sollten Funktionsbeschreibungen kritisch bewerten und bei Bedarf verhandeln
Bevor Marketer eine CMO-Position annehmen, sollten sie prüfen, inwieweit Entscheidungskompetenzen in Bezug auf Wachstumstreiber vorgesehen sind. Wenn die Wachstumserwartungen hoch sind, das Rollendesign aber nur wenig direkte Einflussmöglichkeiten vorsieht, können CMOs dazu beitragen, Lücken aufzuzeigen, und empfehlen,
1) mehr Entscheidungskompetenzen für den CMO vorzusehen, sodass diese der Verantwortung entsprechen, und/oder
2) die Ergebnisverantwortung stärker zu Bereichsleitern mit entsprechender Entscheidungsautorität zu verlagern.
So können Marketer dazu beitragen, das Bewusstsein für die Risiken zu schärfen, die mit einer unstimmigen Gestaltung der CMO-Rolle verbunden sind. Wenn es ihnen gelingt, Personalverantwortliche und CEOs zu sensibilisieren, können CMOs eine Marketingfunktion aushandeln, die den Wachstumserwartungen eher entspricht.
> CEOs sollten aktiv prüfen, ob die vorgesehene CMO-Rolle zu den erwarteten Leistungen passt
CEOs sollten gemeinsam mit Recruitern und Personalleitern die CMO-Positionen so planen, dass sie auf dem Kontinuum zwischen Gestalter und Berater angemessen positioniert sind. Dabei könnte man von der Annahme ausgehen, dass der CMO der Hauptverantwortliche für das Wachstum ist, dann entsprechende Wachstumstreiber auflisten und feststellen, wie viele davon der CMO direkt beeinflussen kann. Wenn der CMO für viele der Wachstumsmechanismen nicht entscheidungsberechtigt ist, birgt das Rollendesign Risiken, die CEOs durch ein angepasstes Design reduzieren können. Je mehr Diskrepanzen bestehen, desto dringlicher ist der Handlungsbedarf.
Es ist deutlich einfacher, Leistung zuzuordnen, wenn Handlungskompetenzen und Verantwortung in einer Hand vereint sind.
> Aufsichtsräte sollten die Rolle des CMOs institutionell stärken
Wenn der CMO für das Wachstum verantwortlich ist, sollte er bei allen strategisch relevanten Diskussionen auf Vorstandsebene präsent sein – insbesondere bei Themen wie Wachstumsstrategie und Ressourcenzuteilung oder bei Investitionsentscheidungen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Perspektive des CMOs in strategische Weichenstellungen einfließt und er wirksam agieren kann. Im professionellen Basketball ist der Erfolg eines Teams nur möglich, wenn ein starker Manager die Ressourcenverteilung steuert und der Coach klare Rollen für alle Spieler definiert. In Unternehmen übernimmt der Vorstand die Rolle des Ressourcenverwalters und der CEO trägt die Verantwortung für eine durchdachte, stimmige Rollengestaltung. Nur wenn diese Grundvoraussetzungen erfüllt sind, können CMOs ihr volles Potenzial entfalten – und zur nachhaltigen Leistungsfähigkeit der gesamten Führungsriege beitragen.
LITERATURHINWEISE
Accenture. (2018). CMO collaborators fill the gap in the C-suite to drive business growth, Accenture interactive research finds.
Boudet, J., Cvetanovski, B., Gregg, B., Heller, J., & Perrey, J. (2019). Marketing’s moment is now: The C-suite partnership to deliver on growth.
Gartner. (2024). Gartner HR research finds CEOs rank workforce as a top three business priority, behind growth and technology.
Ferry, K. (2019). Age and tenure in the C-suite.
Whitler, K. A., Rego, L. L., & Morgan, N. A. (2025). Chief marketing officer role design. Journal of the Academy of Marketing Science. Advance online publication. https://doi.org/10.1007/s11747-025-01104-6
Whitler, K., Tazzia, E., & Mann, S. (2022). Set up to fail. Sloan Management Review.










