Karriere im Marketing? Wähle den richtigen Unternehmenstyp!
Die meisten Marketinglehrbücher gehen davon aus, dass Kundenzufriedenheit, Markenaufbau und nachhaltiges Wachstum primär durch das Marketing gesteuert werden. Sie beschreiben implizit einen einzigen Typ von Marketingorganisation, der für alle Marketingentscheidungen wie Segmentierung, Targeting und Positionierung zuständig ist und den Marketingmix verantwortet. Dieses Bild wird dadurch verfestigt, dass klassische Markenartikler wie Johnson & Johnson, Procter & Gamble und Unilever regelmäßig Gastvorträge an Universitäten halten und dort Top-Talente rekrutieren. Es ist daher kaum überraschend, dass Berufseinsteiger ihre erste Marketingstelle mit der Erwartung antreten, wichtige Entscheidungen treffen zu können und beruflich voranzukommen. Doch ist diese Erwartung gerechtfertigt? Welchen Einfluss hat das Marketing in der Unternehmenspraxis tatsächlich? Und sind Jobs im Marketing wirklich ein Karrieresprungbrett?
Marketingabteilungen sind je nach strategischer Ausrichtung unterschiedlich aufgestellt
In der Praxis ist der Umfang an Entscheidungsbefugnissen im Marketing breit gefächert. Das hat vor allem mit den primären Wettbewerbsvorteilen des Unternehmens zu tun. Während Differenzierung einen externen Fokus erfordert, um Kundenbedürfnisse zu erkennen, die die Marke besser als die Konkurrenz erfüllen kann, setzt Kostenführerschaft einen internen Fokus voraus, um Potenziale für Kosteneinsparungen zu identifizieren. Im ersten Fall ist die Geschäftsführung primär an Ergebnissen wie Umsatz und Gewinn interessiert und stellt das Marketing so auf, dass es diese Ziele verfolgen kann. Im zweiten Fall achtet das Topmanagement mehr auf interne Prozesse und Kostenersparnisse: Skalen- und Verbundeffekte stehen im Mittelpunkt – und hier kann das Marketing wenig bewirken.
In der Praxis ist der Umfang an Entscheidungsbefugnissen im Marketing breit gefächert.
Marketing als Linien- oder Stabsfunktion
Organisationen geben sich eine Struktur, um die Entscheidungsfindung zu vereinfachen und die Ergebnisverantwortung zuzuweisen. Funktionen, die Organisationen in ihren Kernbereichen weiterbringen und geschäftskritische Entscheidungen treffen, sind normalerweise als Linienfunktion organisiert. Linienmanager müssen finale Entscheidungen treffen und deren Umsetzung sicherstellen und werden für die Ergebnisse verantwortlich gemacht. Sie entscheiden über Gewinn oder Verlust. Doch Unternehmen benötigen auch Stabsfunktionen. Diese sind eher beratend tätig, sie unterstützen die Linienmanager durch ihren Input bei Entscheidungen oder holen sich Freigaben für ihre Aktivitäten. Eine Stabsfunktion unterbreitet zum Beispiel Vorschläge oder bietet Alternativen an und sie weist die Linienmanager auf Probleme hin, die eine bestimmte Entscheidung in anderen Unternehmensbereichen verursachen könnte. Kurzum: Linienfunktionen sind unmittelbar für die Erreichung der primären Unternehmensziele verantwortlich; Stabsfunktionen unterstützen sie dabei, effektiver zu arbeiten. In vielen Unternehmen sind Produktion und Vertrieb Linienfunktionen; Personal, Buchhaltung und Rechtsabteilung dagegen Stabsfunktionen. Das Marketing kann interessanterweise beides sein: Als Linienfunktion ist es für alle Entscheidungen in den Bereichen Marktanalysen, Strategie und Marketingmix verantwortlich. Als Stabsfunktion trifft es dagegen keine geschäftskritischen Entscheidungen, sondern ist oft nur für das Markenimage und die Markenkommunikation zuständig. Das Marketingteam berät die Linienmanager hinsichtlich Preispolitik, Umsatz und Gewinn, doch die finale Entscheidung liegt bei der Linienfunktion.
Drei Arten der Marketingorganisation
Wir haben vermutet, dass es in der Praxis vor allem drei Typen der Marketingorganisation gibt, die sich durch unterschiedliche Kombinationen der oben angeführten Wettbewerbsstrategien und Organisationsstrukturen beschreiben lassen. Eine empirische Studie, die zwei Analysen in unterschiedlichen Settings umfasste (siehe Box 1), bestätigte dies und wir konnten die folgenden drei Archetypen der Marketingorganisation identifizieren: Growth Champions, in denen das Marketing als Profitcenter federführend für das Unternehmenswachstum verantwortlich ist, MarCom Leaders, in denen das Marketing als Costcenter geführt wird und das Markenimage steuert, und Service Provider – hier agiert das Marketing als Dienstleister für andere Funktionen und wird ebenfalls als Costcenter geführt. Die ersten beiden Typen finden sich in Unternehmen, die ihren Wettbewerbsvorteil aus Differenzierung ziehen; der dritte Typ liegt in Unternehmen vor, deren Wettbewerbsvorteil in der Kostenführerschaft besteht. Beim ersten Typ ist das Marketing als Linienfunktion organisiert, beim zweiten und dritten Typ als Stabsfunktion (siehe Tabelle 1).


> Growth-Champion-Marketingorganisation
Diesen Typ findet man vor allem in Unternehmen, die auf Differenzierung setzen und Marketing als Linienfunktion mit umfangreichen Entscheidungsbefugnissen ausstatten– ganz so, wie es die Lehrbücher typischerweise vermitteln. Das Marketing hat sowohl für Brand Management einschließlich Werbung, Verkaufsförderung, PR und Kommunikation die volle Verantwortung als auch für Produktmanagement einschließlich Produkt-, Preis- und Distributionspolitik.
> MarCom-Leader-Marketingorganisation
Diese Marketingorganisationsform trifft man am ehesten in Unternehmen an, die eine Differenzierungsstrategie verfolgen und das Marketing als Stabsfunktion organisiert haben. Hier sind die Marketer meist im Bereich des Brand-Managements einschließlich Werbung, Verkaufsförderung, PR und Kommunikation entscheidungsbefugt, nicht aber im Bereich des Produktmanagements.
> Service-Provider-Marketingorganisation
Marketing als Dienstleistung ist typisch für Unternehmen, die eine Kostenführerschaft verfolgen. Hier unterstützen Marketer die Linienfunktionen, die das Kerngeschäft verantworten. Ähnlich wie Kreativteams von Werbeagenturen übernehmen sie eher die Rolle von Ermöglichern als die von Entscheidern. Sie führen Marktstudien durch, entwickeln Werbematerial für den Vertrieb oder generieren Leads; Markenführung und Produktmanagement fallen jedoch nicht in ihren Verantwortungsbereich.
In den meisten Unternehmen hat das Marketing nur begrenzte Entscheidungsbefugnisse
In unserem Sample war Marketing in etwa 83 % der Fälle keine Linienfunktion. Stattdessen konzentrierte es sich hauptsächlich auf Image- und Markenkommunikation oder fungierte als unterstützende Einheit für andere Funktionen. Bemerkenswert ist, dass Unternehmen nur wachsen können, wenn ihre Produkt- und Markenstrategien so gestaltet sind, dass sie ein spezifisches Kundenproblem lösen. Um den Erfolg dieser Strategien sicherzustellen, muss in allen externen Kommunikationsmaßnahmen konsequent vermittelt werden, wie das Unternehmen dieses Problem löst. In 83 % der von uns untersuchten Organisationen waren Personen außerhalb der Marketingfunktion für das Sammeln von Erkenntnissen, das Festlegen der Strategie und die Erstellung der Kommunikation verantwortlich. Unabhängig von ihrem funktionalen Hintergrund müssen diese Entscheidungsträger eng koordiniert zusammenarbeiten, um eine einheitliche strategische Ausrichtung zu erreichen.

Marketing ist nicht gleich Marketing
Sowohl in der Marketinglehre als auch bei der Jobsuche sollten die unterschiedlichen Marketingorganisationsformen berücksichtigt werden.
> Marketingdozenten sollten vermitteln, dass Marketingpositionen in verschiedenen Unternehmen unterschiedliche Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten bieten
Marketinglehrbücher erklären zwar, welche Entscheidungen für ein Unternehmen erfolgskritisch sind, erörtern aber selten die Tatsache, dass diese nicht zwangsläufig von Marketern getroffen werden. Marketingdozenten sollten deshalb klar kommunizieren, dass nicht jede Marketingabteilung „allmächtig“ ist. Wir tun unseren Studierenden keinen Gefallen, wenn wir sie mit dem Versprechen für die Marketing-Spezialisierung gewinnen, dass sie als Marketer in jedem Unternehmen Ergebnisverantwortung haben werden. Die von uns entwickelte Taxonomie kann als Rahmen dienen, um die verschiedenen Typen der Marketingorganisation vorzustellen. Mit diesem Wissen können Studierende besser beurteilen, welche Optionen sie nach dem Studium haben, und die Marketingpositionen anstreben, die am besten zu ihren Vorstellungen passen.
> Ambitionierte Marketing-Nachwuchstalente sollten Jobs in Linienfunktionen bei Growth Champions anstreben
Marketing-Nachwuchskräfte sollten hinterfragen, welche Position das Marketing bei ihren Wunscharbeitgebern hat. Ist Marketing der Wachstumstreiber, sind die Jobs meist herausfordernd, gut bezahlt und ein Karrieresprungbrett. Fungiert Marketing dagegen als Dienstleister, sind die Stellen normalerweise weniger anspruchsvoll und weniger gut bezahlt und bieten weniger Aufstiegsmöglichkeiten. Unabhängig von ihren beruflichen Zielen sollten Bewerber prüfen, ob es sich um eine Stelle in einer Linien- oder einer Stabsfunktion handelt. Sind ihnen Gehalt, Herausforderungen und Aufstiegsmöglichkeiten wichtig, empfehlen wir, einen Job in Linienfunktion anzustreben.
LITERATURHINWEISE
McAlister, L., Germann, F., Chisam, N., Hayes, P., Lynch, A., & Stewart, B. (2023). A taxonomy of marketing organizations. Journal of the Academy of Marketing Science, 51(3), 617-635.
doi.org/10.1007/s11747-022-00911-5










