KI als Chance: So sichern sich Marketer strategischen Einfluss
Über Jahrzehnte hinweg prägten die 4 Ps – Produkt, Preis, Platz und Promotion – das Selbstverständnis des Marketings. Marketingverantwortliche spielten eine Schlüsselrolle bei strategischen Entscheidungen: Sie beeinflussten nicht nur Markenführung und Kundenansprache, sondern auch Preisstrategien, Vertriebskanäle und mitunter sogar das Produktdesign. Heute beobachtet man hingegen einen eher schwindenden strategischen Einfluss der Marketingabteilungen in vielen Unternehmen. Die Preisgestaltung liegt heute zunehmend in den Händen algorithmischer Modelle. Produktempfehlungen werden von F&E- und Betriebsabteilungen dominiert. Digitale Plattformen und E-Commerce-Riesen kontrollieren die Vertriebskanäle – und engen so den Handlungsspielraum der Marketer weiter ein. In einer Zeit, in der traditionelle Marketinginstrumente zunehmend fragmentiert und automatisiert werden, stellt sich eine entscheidende Frage: Wie kann Marketing wieder zur strategischen Führungsfunktion im Unternehmen werden? Die Antwort liegt in der KI.
KI als strategischer Gamechanger
KI hat sich längst von einem Automatisierungswerkzeug zu einem echten Wettbewerbsvorteil entwickelt. Pionierunternehmen nutzen KI, um Prozesse effizienter zu gestalten, bessere Entscheidungen zu treffen und völlig neue Wertschöpfungspotenziale zu erschließen. Ganze Branchen werden durch diesen Wandel neu definiert. Doch die Einführung von KI ist kein Selbstläufer. Viele Unternehmen investieren zwar in KI-Technologien und erwarten schnelle Erfolge, scheitern aber an der Umsetzung.
Mangelnde KI-Bereitschaft – eine unterschätzte Hürde
In einer zweiteiligen Studie – bestehend aus Interviews mit Führungskräften und einer breit angelegten Umfrage unter über 100 Unternehmen – habe ich den Stand der KI-Integration analysiert und Best Practices für eine umfassende KI-Integration abgeleitet. Die Studie lieferte ein bemerkenswertes und unerwartetes Ergebnis: Viele Führungskräfte sind überzeugt, dass ihr Unternehmen für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz gut aufgestellt ist – doch die operativen Teams identifizieren regelmäßig gravierende Hürden, die das Topmanagement übersieht.
Die Folge? Zahlreiche Unternehmen investieren zwar in KI, schaffen es jedoch nicht, sie tiefgreifend in ihre operativen Abläufe zu integrieren. Während einige Organisationen einen strategisch durchdachten Ansatz verfolgen, agieren andere eher reaktiv und fragmentiert – was den möglichen Nutzen deutlich einschränkt. Wenig überraschend verfehlen die meisten Unternehmen etablierte Best-Practice-Benchmarks. Box 1 stellt unterschiedliche Organisationsprofile in Bezug auf ihre KI-Reife dar und beleuchtet zentrale Hürden einer erfolgreichen Implementierung, die wir in unserer Studie identifiziert haben.

Mangelnde KI-Bereitschaft: Eine strategische Chance für Marketer
Die KI-Bereitschaftslücke betrifft nicht nur das Marketing, sondern viele Bereiche. Abteilungen, die aktiv daran arbeiten, diese Lücke zu schließen, können jedoch zu wichtigen Treibern der KI-Strategie werden. Insbesondere das Marketing ist gut positioniert, um eine Führungsrolle bei der Integration von KI in Entscheidungsprozesse zu übernehmen, da in dieser Funktion Daten, Kundenverhalten und Ergebnisverantwortung zusammenlaufen. Das Marketing kann KI-Leadership zeigen und KI-gestützte Erkenntnisse weitreichender nutzen als nur für die Durchführung von Kampagnen: um die Einführung von KI in allen Bereichen zu beschleunigen, strategische Entscheidungen zu leiten und messbare Geschäftsergebnisse zu liefern.

Marketing als Speerspitze der KI-Einführung in Unternehmen
Für Marketingleiter geht es nicht nur darum, die aktuelle Position der KI-Bereitschaft ihres Unternehmens zu bestimmen, sondern auch darum, zu verstehen, wie sie den strategischen Umgang mit KI weiter fördern können. Selbst wenn ein Unternehmen noch nicht die Stufe eines Strategic Builders erreicht hat, können Marketingleiter die Weiterentwicklung fördern, indem sie die Einführung von KI unterstützen, Silodenken abbauen und KI-Projekte mit Ergebniszielen verknüpfen. Als Funktion, die am besten Kundenkenntnisse, Marktstrategien und datengesteuerte Entscheidungen verbindet, ist das Marketing in einer idealen Position, um die KI-Bereitschaft zu fördern und Unternehmen zur KI-Reife zu führen. Marketer sollten KI als strategische Priorität und nicht als Sammlung separater Tools fördern. Sie sollten sicherstellen, dass KI-generierte Erkenntnisse in die Entscheidungsprozesse verschiedener Abteilungen einfließen, und den Führungskräften ein besseres Verständnis der realen Herausforderungen und Chancen von KI vermitteln.
Das Ziel ist nicht, das KI-Thema abzuhaken, sondern es tief im Herzen eines Unternehmens zu verankern. Das reicht von der Positionsbestimmung bis hin zur Leitung von Transformationsprozessen hin zum Strategic Builder. Marketingleiter, die bei der Einführung von KI die Führung übernehmen, werden nicht nur ihren Einfluss zurückgewinnen, sondern auch die Zukunft ihres Unternehmens gestalten.
Zahlreiche Unternehmen investieren zwar in KI, schaffen es jedoch nicht, sie tiefgreifend in ihre operativen Abläufe zu integrieren.
KI-basierte Customer Intelligence: Wie das Marketing seinen Einfluss zurückerlangt
Eine der bedeutendsten Fähigkeiten von KI besteht darin, Customer Intelligence zu generieren: Kundenverhalten vorherzusagen, Interaktionen zu personalisieren und die Kundenbindung weitreichend zu optimieren. Viele Unternehmen tun sich jedoch schwer, dieses Potenzial effektiv zu nutzen. KI macht klassische Segmentierungsansätze obsolet, da Kundenbedürfnisse dynamisch und in Echtzeit prognostiziert werden können. KI-gesteuerte Analysen können auch die Abwanderung von Kunden vorhersagen, da KI-Modelle frühe Anzeichen für schwindendes Interesse erkennen können, sodass Marketer abwanderungsgefährdete Kunden rechtzeitig und proaktiv ansprechen können. KI ermöglicht außerdem die individuelle Anpassung von Customer Journeys. Sie kann frühere Interaktionen auswerten und die effektivsten Inhalte, Zeitpunkte und Kanäle für jeden Kunden vorhersagen. Darüber hinaus können Prognosemodelle ermitteln, welche Marketinginvestitionen den höchsten ROI bieten, was eine genauere Kundensegmentierung, Budgetverteilung und optimierte Marketingausgaben ermöglicht. Marketer, die KI-gestützte Customer Insights nutzen, planen nicht nur bessere Kampagnen, sondern prägen auch die Unternehmensstrategie. Stellen Sie sich vor, dass Sie das tatsächlich alles könnten: Kundenabwanderung abwenden, auf breiter Basis hochgradig personalisierte Erlebnisse anbieten und Investitionen ausschließlich auf die Marketingkanäle mit dem größten ROI konzentrieren – alles möglich gemacht durch KI.
Marketing als bereichsübergreifende Führungsinstanz: Predictive Analytics und Automatisierung
KI wirkt weit über den Bereich der Customer Insights hinaus. Prädiktive Analysen und Automatisierung versetzen das Marketing in die Lage, aktiv auf Preisgestaltung, Produktentwicklung und die übergeordnete Geschäftsstrategie einzuwirken. KI kann Nachfragetrends, die Preise der Wettbewerber und die Zahlungsbereitschaft der Kunden bewerten, sodass das Marketing in Echtzeit Preisempfehlungen geben kann, um die Preisstrategie zu optimieren. KI-gestütztes Social Listening und Sentiment-Analysen liefern wertvolle Erkenntnisse für die Produktentwicklung, indem sie entstehende Konsumentenbedürfnisse frühzeitig erkennen und F&E-Teams datenbasiert auf Innovationspotenziale hinweisen. Darüber hinaus ermöglicht KI eine automatisierte Entscheidungsfindung, indem sie die Echtzeit-Optimierung von Medieneinkauf, kreativen Tests und Zielgruppenansprache erleichtert – und so Marketingfachleute von operativen Aufgaben entlastet und ihnen mehr Raum für strategische Planung verschafft. Marketingteams, die KI in diesen Bereichen effektiv einsetzen, erweitern ihren Einfluss über traditionelle Marketingbereiche hinaus und positionieren sich als wesentliche Mitgestalter unternehmerischer Entscheidungen.
Ethische KI: Eine unverzichtbare Voraussetzung für Marketingverantwortliche
Ethische KI ist keine Option – sie ist eine Notwendigkeit. Ein Beispiel: Amazon sah sich gezwungen, ein KI-gestütztes Bewerberauswahlsystem einzustellen, da dieses Bewerberinnen systematisch benachteiligte – etwa durch die Abwertung von Lebensläufen mit Begriffen wie „women’s“ oder Bezüge zu Frauenhochschulen. Ähnliche Probleme bestehen bei Gesichtserkennungstechnologien wie Clearview AI: Eine Studie des MIT Media Lab zeigte auf, dass diese Systeme dunkelhäutige und asiatische Personen bis zu 100-mal häufiger falsch identifizieren als weiße Personen. Diese Fälle verdeutlichen die Risiken unzureichend regulierter KI-Systeme. Unternehmen, die ethische Dimensionen der KI vernachlässigen, riskieren nicht nur Verbraucherproteste und rechtliche Konsequenzen, sondern auch einen langfristigen Verlust an Markenvertrauen und Reputation. Als Hüter der Markenwahrnehmung tragen insbesondere Marketer die Verantwortung dafür, dass der Einsatz von KI mit den Markenwerten im Einklang steht und den Kundenansprüchen gerecht wird. Doch was bedeutet verantwortungsvoller Umgang mit KI im Marketing konkret? Er basiert auf zentralen Grundpfeilern wie:
> Transparenz
Von KI getroffene Entscheidungen müssen für Konsumenten und Stakeholder nachvollziehbar, erklärbar und begründbar sein. Marketingverantwortliche müssen sicherstellen, dass KI-gestützte Empfehlungen – sei es in Bezug auf Inhalte, Preise oder Kundenansprache – klar kommuniziert werden und den Kundenerwartungen entsprechen.
> Vermeidung von Bias
KI reproduziert Verzerrungen, die in den Trainingsdaten enthalten sind. Wenn diese Biases unbeachtet bleiben, können KI-Modelle systemische Ungleichheiten verstärken und Minderheiten benachteiligen. Um dem entgegenzuwirken, sollten Marketer sich für regelmäßige Bias-Analysen einsetzen, vielfältige und repräsentative Trainingsdaten verwenden und die ethische Überwachung von KI-Systemen in ihren Organisationen verankern.
> Schutz der Privatsphäre
Obwohl KI auf Daten angewiesen ist, muss der Schutz der Privatsphäre oberste Priorität haben. Marketingverantwortliche sollten eine Vorreiterrolle bei der verantwortungsvollen Datenerhebung übernehmen, klare Opt-in- oder Opt-out-Verfahren implementieren und Datenschutzgesetze wie die DSGVO oder den CCPA konsequent einhalten, um Konsumentenvertrauen zu erhalten und rechtliche Vorgaben zu erfüllen.
Indem Marketer ethische KI aktiv mitgestalten, reduzieren sie Risiken, stärken das Markenvertrauen und schaffen die Grundlage für langfristige Kundenbindung und unternehmerischen Erfolg.

Mit KI-Wissen zum Marketing der Zukunft
Die Zeit, in der die 4 Ps allein Marketingstrategien definierten, ist vorbei. Um die strategische Bedeutung des Marketings zurückzugewinnen oder zu stärken, ist es entscheidend, bei der Einführung von KI die Führung zu übernehmen. KI ist zum zentralen strategischen Wettbewerbsvorteil geworden – und Marketingverantwortliche, die KI nutzen, bleiben nicht nur relevant, sondern erweitern auch ihren Einfluss innerhalb der Organisation. Box 2 zeigt Schritte auf, die Marketingverantwortliche konkret umsetzen können, um ihre Position in Unternehmen zu festigen. Sie können eine bedeutende Rolle in strategischen Diskussionen zurückerobern, indem sie die KI-Bereitschaft ausbauen, KI-basierte Erkenntnisse in ihre Entscheidungsprozesse integrieren und die ethische Nutzung von KI vorantreiben. Die Entscheidung ist klar: Die wirtschaftliche Zukunft liegt in den Händen von Marketingexperten, die KI gezielt einsetzen; wer darauf verzichtet, verliert an Bedeutung.
LITERATURHINWEISE
Chui, M., Hall, B., & Henke, N. (2023). How generative AI can boost consumer marketing. McKinsey & Company.
Graham, M. (2024). Taco Bell and KFC’s owner says AI-driven marketing is boosting purchases. The Wall Street Journal.
The Australian (2024). Endeavour adopts tech-led production.










