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KI und die Ära des automatisierten Marketings

Chatbots als Persönlichkeiten: Nicht immer die beste Idee

Rhonda Hadi

Keywords

Chatbots, Kundenservice, Verärgerte Kunden, Avatare, KI

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Der Aufstieg der Service-Bots
Der technologische Fortschritt in der künstlichen Intelligenz (KI) verändert zunehmend die Arbeitsabläufe der Unternehmen und auch deren Art und Weise, mit Kunden zu interagieren. Ein schönes Beispiel dafür ist die steigende Verbreitung von Chatbots im Kundenservice. In typischen Anwendungen sind diese automatisierten Gesprächspartner in die Website oder den Social Media-Auftritt eines Unternehmens eingebunden und versorgen Kunden entweder mit Informationen oder helfen bei der Bearbeitung von Kundenbeschwerden. Laut Prognosen werden Chatbots bis 2020 bereits bemerkenswerte 85 % aller Kundenservice-Interaktionen abwickeln und der globale Chatbot-Markt soll bis 2024 1,34 Milliarden US-Dollar übersteigen.
Dass dadurch Kosteneinsparungen möglich sind, ist offensichtlich, aber führen Chatbots auch zu Verbesserungen im Kundenservice? Während manche Branchenkenner meinen, dass Chatbots den Kundenservice aufgrund ihrer Schnelligkeit und ihrer Fähigkeit zur Datensynthese verbessern werden, warnen andere Experten davor, dass Chatbots zu einem verschlechterten Service führen und von Kunden abgelehnt und boykottiert werden könnten. In einer Reihe von Studien haben wir beleuchtet, wie Kunden auf Chatbots reagieren. Unsere Forschungsergebnisse unterstützen sowohl die Argumentation der Optimisten als auch der Skeptiker, denn sie hängen von der Anwendungssituation und den spezifischen Eigenschaften der Chatbots ab.

Von humanisierten Marken zu humanisierten Bots
Technologiedesigner versuchen oft, KI-Anwendungen ganz gezielt zu humanisieren, z. B. indem sie Geräte mit menschlichen Stimmen ausstatten. Die Branchenpraxis zeigt, dass dieser Trend auch für Chatbots im Kundenservice gilt, denn häufig werden diese als menschenähnliche Avatare konzipiert und erhalten einen eigenen Namen (siehe Box 1). Die Humanisierung von Dingen ist jedoch keine neue Marketingstrategie. Produktdesigner und Markenmanager ermutigen ihre Konsumenten schon seit langem, ihre Produkte und Marken als menschenähnlich zu betrachten, beispielsweise durch die visuellen Merkmale eines Produkts oder durch Marken-Maskottchen wie Meister Propper oder dem Michelin Männchen. Solche Strategien gelten allgemein als erfolgreich: Marken mit menschlichen Zügen fördern die Bildung persönlicher Beziehungen zwischen Konsumenten und Marken und haben sich in einigen Kategorien, wie bei Autos, Mobiltelefonen oder Getränken als positiver Einflussfaktor auf die Gesamtbewertung von Produkten erwiesen. Darüber hinaus haben sich im Bereich der Technik menschenähnliche Bedienungsoberflächen als vertrauensbildend bewährt. Es gibt jedoch auch Hinweise darauf, dass Humanisierungsversuche in bestimmten Settings negative emotionale Reaktionen der Kunden hervorrufen können, insbesondere wenn das Angebot nicht hält, was es verspricht.

 

Box 1: DIE VIELFALT DER AM MARKT VERFÜGBAREN CHATBOT-PERSÖNLICHKEITEN
Weltweit findet man eine Vielzahl unterschiedlichster Chatbot-Persönlichkeiten. Lufthansa nutzte einen Kundenservice-Bot namens „Mildred“ für die Bereitstellung von Fluginformationen, während „Julie“ Amtrack-Kunden dabei unterstützt, ihre Züge zu buchen oder Fahrpläne zu erstellen. Der Bot des Finanzdienstleisters ING nennt sich „Inga“, und die australische Regierung verwendet derzeit ganze fünf unterschiedliche Bots – „Sandi“, „Mandi“, „Sam“, „Oliver“ und „Alex“ - um Millionen von Bürgeranfragen zu bearbeiten. Im Alibaba-Universum in China erhalten die Kunden Hilfe von einem süßen kleinen Maskottchen namens „AliMe“, das auch humorvolle Scherze machen kann (siehe unten). Zusätzlich findet man noch „Tinka“, den Servicebot des Telekommunikationsanbieters T-Mobile in Deutschland und Österreich (siehe Abbildung 1). Tinkas Profil beschreibt sie als Außerirdische mit einem erstaunlich hohen IQ-Wert. Sie kann sogar Rätselaufgaben stellen, wenn sie von Kunden dazu aufgefordert wird.

 

Kann der Bot auch denken?
Wenn ein Chatbot menschenähnlich präsentiert wird, neigen die Kunden zur Annahme, dass er auch entsprechend handlungsfähig ist. Das heißt, sie erwarten, dass der Chatbot in der Lage ist, ähnlich wie ein Mensch zu planen, zu entscheiden und zu reagieren. Diese hohen Erwartungen bedingen, dass Kunden eine befriedigende Lösung ihres Anliegens erhoffen und auch der Meinung sind, dass Chatbots für ihre Handlungen verantwortlich gemacht werden sollten und im Falle von Fehlverhalten eine Strafe verdient haben. Natürlich erfüllen Chatbots - so menschlich sie auch erscheinen mögen - nicht immer das hohe Leistungsniveau, das ein Kunde erwartet. Enttäuschte Erwartungen sind nie gut, aber besonders schädlich sind sie bei verärgerten Kunden. Wenn diese den Eindruck haben, beim Erreichen ihres gewünschten Ziels behindert anstatt unterstützt zu werden, entstehen manchmal sogar Rachegefühle. Um zu untersuchen, wie verärgerte Kunden auf Chatbots reagieren, habe ich gemeinsam mit meinen Kollegen Felipe Thomaz, Cammy Crolic und Andrew Stephen von der Universität Oxford in einer Reihe von Studien getestet, ob und in welchen Situationen die Humanisierung von Chatbots vorteilhaft sein könnte.

 Der Bot ist schuld: Wie humanisierte Chatbots den Ärger verstärken können
In unserer ersten Studie haben wir über 1,5 Millionen Textbeiträge von Kunden analysiert, die mit dem Chatbot eines globalen Telekommunikationsunternehmens Kontakt hatten. Die maschinelle Sprachverarbeitungsanalyse zeigte, dass die Humanisierung des Chatbots die Zufriedenheit der Verbraucher verbessern konnte, außer wenn Kunden bereits verärgert waren. Bei Kunden, die den Chat in einem emotional vorbelasteten Zustand begannen, hatte die Humanisierung des Bots stark negative Auswirkungen auf die Gesamtzufriedenheit. In einer Reihe von Folgeexperimenten verwendeten wir simulierte Chatbot-Interaktionen und variierten sowohl die Chatbot-Eigenschaften als auch die Intensität der Verärgerung. Die Experimente bestätigten die Ergebnisse der Sprachanalyse: Verärgerte Kunden waren nach einer Interaktion mit einem humanisierten Chatbot weniger zufrieden, als mit einem nicht humanisierten Bot. Darüber hinaus zeigten die Ergebnisse, dass sich humanisierte Chatbots bei verärgerten Kunden auch negativ auf die Wiederkaufabsichten und Beurteilung des gesamten Unternehmens auswirkten (siehe Abbildung 2).

Die optimalen Chatbot-Eigenschaften sind situationsabhängig
Intuitiv würde man vielleicht meinen, dass die Humanisierung von Service-Chatbots generell günstig ist. Unsere Forschung deutet jedoch darauf hin, dass menschenähnliche Chatbots nuancierter wahrgenommen werden und die Ergebnisse sowohl von Eigenschaften der Kunden als auch vom spezifischen Servicekontext abhängen. Wir glauben, dass die Chatbot-Humanisierung ein zweischneidiges Schwert sein kann: Sie erhöht die Kundenzufriedenheit bei emotional nicht vorbelasteten Konsumenten, verschärft aber die negativen Reaktionen verärgerter Kunden.  Daher sollten Unternehmen sehr sorgfältig prüfen, ob und in welchen Situationen sie humanisierte Service- Chatbots einsetzen möchten. Basierend auf unseren Erkenntnissen empfehlen wir die folgenden Leitlinien, um automatisierten Kundenservice effizient und dennoch kundenfreundlich zu gestalten:

  • Überprüfen Sie, ob ein Verbraucher verärgert ist, bevor er den Chat beginnt
    In unseren Studien spielte die Verärgerung von Kunden eine zentrale Rolle bei den Reaktionen auf humanisierte Chatbots. Daher ist es ratsam, bereits in einem allerersten Schritt festzustellen, ob Kunden verärgert sind. Dies könnte mit Hilfe von Schlüsselwörtern oder einer automatisierten Sprachanalyse in Echtzeit geschehen. Verärgerte Kunden könnten dann zu einem nicht humanisierten Chatbot weitergeleitet werden, während die anderen auf eine humanisierte Version treffen. Eine weitere Möglichkeit könnte darin bestehen, verärgerte Kunden direkt mit einem menschlichen Servicemitarbeiter zu verbinden, der vielleicht einfühlsamer sein kann als ein Bot und über mehr Handlungsspielraum und Flexibilität verfügt, um ein Problem tatsächlich zur Zufriedenheit des Kunden zu lösen.
     
  • Keine humanisierten Chatbots in der Beschwerdebearbeitung
    Wenn ein Kunde ein Unternehmen gezielt kontaktiert, um sich zu beschweren, kann man von einem zumindest moderaten Grad an Verärgerung ausgehen. Daher sollte für solche Einsatzgebiete ein nicht humanisierter Chatbot vorgesehen werden. So könnte man mögliche negative Auswirkungen auf die Reputation des Unternehmens oder die zukünftigen Kaufabsichten reduzieren, falls der Bot nicht in der Lage sein sollte, angemessene Lösungen anzubieten. Humanisierte Chatbots könnten auf neutralere oder werbeorientierte Dienste beschränkt werden, wie beispielsweise die Suche nach Produktinformationen oder andere Formen des Kundensupports.
     
  • Managen Sie die Erwartungen an Chatbots aktiv
    Schließlich können Unternehmen versuchen, übermäßig hohe Erwartungen an die Chatbot-Performance zu reduzieren. Dies kann durch die ausdrückliche Offenlegung erfolgen, dass der Kunde mit einem Bot und nicht mit einem Menschen interagiert, wie im untenstehenden Beispiel des Slackbots.

 

Wählen Sie in einer wachsenden Bot-Landschaft eine für Sie passende Variante
Immer mehr Marken werden mit der Zeit auf Chatbots setzen, um ihren Kundenservice auszubauen, und diese Chatbots werden mit der Zeit immer ausgefeilter und versierter werden. Dementsprechend werden sich auch die Kunden mehr an diese Art des Service gewöhnen, aber auch anspruchsvoller werden. Angesichts der enormen Investitionen der Industrie in KI und maschinelle Lerntechnologien ist nicht auszuschließen, dass Chatbots einmal so funktional fortgeschritten sein werden, dass enttäuschte Erwartungen kein großes Thema mehr sind. Diese Chatbots müssten ein beachtliches Handlungsspektrum beherrschen und selbst intuitive und einfühlsame Aufgaben besser erfüllen können als Menschen. In einer solchen Realität könnten sich die Unterschiede zwischen den Reaktionen von verärgerten und nicht verärgerten Konsumenten auflösen und die Humanisierung von Chatbots generell positiv sein. In naher Zukunft ist es jedoch wichtig, die Vielfalt der Konsumkontexte und -bedingungen zu berücksichtigen, die Gegenstand der Interaktion sein können. Unternehmen sind jedoch gut beraten, beim technischen Fortschritt an vorderster Front zu stehen, schnell zu lernen und die fortschrittlichste KI in ihre Chatbots zu integrieren. In jedem Stadium stellen Chatbots einen wichtigen Kontaktpunkt im Kundenservice dar und erfordern eine durchdachte Gestaltung im zunehmend automatisierten Leben der Kunden.

Autor/en

Rhonda Hadi
Associate Professor of Marketing, Saïd Business School, University of Oxford, United Kingdom, Rhonda.Hadi@sbs.ox.ac.uk

Literaturhinweise

Hadi, R.; Thomaz, F. Crolic, C. & Stephen, A. (2019): “Blame the Bot: Anthropomorphism and Anger in Customer-Chatbot Interactions”, working paper.
Valenzuela, A. & Hadi, R. (2017): "Implications of Product Anthropomorphism Through Design", in Michael R. Solomon & Tina M. Lowrey (Eds.), The Routledge Companion to Consumer Behavior, Routledge, London.