Login

KI und die Ära des automatisierten Marketings

Herr Kaiser ist jetzt virtuell: Der Chatbot als verlängerter Arm des Vertriebs

Christian Hildebrand und Anouk Bergner

Keywords

Chatbots, Verkaufsautomatisierung, Kundendialog, Personalisierung, Vertrauen

Artikel als pdf downloaden

Chatbots – die neuen Top-Verkäufer?
Fortschritte in der künstlichen Intelligenz (KI) und der Verarbeitung natürlicher Sprache ermöglichen eine neue Form des Kundenservice: Chatbots. Diese oft vermenschlichten Webapplikationen ermöglichen es Unternehmen, wichtige Bereiche des Kundenservice zu automatisieren. Jüngste Branchenberichte zeigen, dass mehr als 80 % aller Unternehmen die Integration von Chatbots innerhalb der nächsten fünf Jahre in Betracht ziehen. Viele Unternehmen setzen bereits heute Chatbots ein, um gezielt Kosteneinsparungen durch Automatisierung zu realisieren. Chatbots eignen sich jedoch nicht nur zur Kostensenkung, sondern können viele zusätzliche Vorteile bei der Automatisierung von Kunden-Firmen-Interaktionen mit sich bringen. Eine für viele Unternehmen relevante Frage ist: Können Chatbots den Vertrieb des Unternehmens ergänzen? Oder anders gefragt, sind Chatbots in der Lage zu verkaufen?  Durch eine Reihe von Feld- und Laborstudien fanden wir Belege dafür, dass Chatbots tatsächlich Konsumentenpräferenzen und Kaufentscheidungen verändern können. Was die Verbraucher besonders schätzen, ist die Möglichkeit, einen relativ natürlichen Dialog zu führen und sich sogar mit der „Chatbot-Persönlichkeit“ anzufreunden. Wir haben in diesem Artikel unsere Erkenntnisse zur optimalen Gestaltung von Chatbots zusammengetragen, um Vertrauen aufzubauen, eine stärkere Bindung zur Marke zu ermöglichen und letztlich mehr Absatz zu erzielen.

Verkaufsautomatisierung mit Chatbots: Die Bedeutung von Dialog und Personalisierung
Chatbots verfügen über Fähigkeiten, die traditionelle Medien nicht haben. Sie sind in der Lage, einen natürlicheren Dialog zu führen und damit ein vollkommen neues Benutzererlebnis zu schaffen. Die Kommunikationsforschung zwischen Menschen hat deutlich gezeigt, dass sich Gesprächspartner durch häufige Wortwechsel während eines Gesprächs verbundener fühlen und dass sie sich gegenseitig sympathischer sind. Die Dialogfähigkeit und ein höhere Interaktionsfrequenz zwischen Kunden und Chatbot ist der erste wesentliche Faktor, der das Vertrauen zwischen den Interaktionspartnern fördert.

Der zweite wichtige Treiber für den Aufbau engerer Beziehungen zwischen Konsumenten und Marken ist die Möglichkeit, einen Chatbot im Vergleich zu traditionellen Kontaktpunkten stärker zu personalisieren. Konkret bedeutet dies, dass die Eigenschaften eines Chatbots zielgenau an die Eigenschaften oder gar Vorstellungen eines Kunden angepasst werden können. Die aktuelle Forschung zeigt deutlich, dass wir Maschinen oft vermenschlichen und selbst Gefühle zu diesen Maschinen aufbauen, wenn sie menschenähnlich wirken. Marken und Produkte mit menschlicheren Zügen – denken sie an Fahrzeuge wie den „Mini“ mit einer menschlich anmutenden Fahrzeugfront – führen nach bisherigen Erkenntnissen zu positiveren Markenassoziationen und engeren Markenbeziehungen. Die gezielte Gestaltung eines Chatbots ist daher zentral, um Vertrauen aufzubauen und das Kundenerlebnis sowie Kundenentscheidungen maßgeblich zu prägen. Eine komprimierte Zusammenfassung unserer wichtigsten Erkenntnisse hierzu ist in Box 1 dargestellt.

 

Wie Chatbots das Upselling-Potenzial beeinflussen
In unseren Studien hat sich gezeigt, dass ein menschlich wirkender Chatbot eine intimere und vertrauensvollere Markenbeziehung aufbauen kann, als angenehmer empfunden wird und das Upselling-Potenzial im Vertrieb erhöht. Konkret haben wir bei unseren Chatbot-Studien im Bereich der Autovermietung festgestellt, dass Kunden fast doppelt so oft teurere Optionen und Zusatzdienste buchen wollten, wenn diese von einem menschlich wirkenden Chatbot angeboten wurden. Dieser Effekt hat sich weiter verstärkt, wenn sich das Bot-Interface hinsichtlich des Geschlechts, eines ähnlichen Vornamens oder des ungefähren Alters an die Eigenschaften des Kunden angepasst hat.

 

Wie Chatbots das Vertrauen beeinflussen
Unsere Arbeit mit einem Chatbot in der Finanzberatung, einem so genannten „Robo Advisor“, zeigte erstaunliche Ergebnisse, denn die Teilnehmer vertrauten den Empfehlungen des Robo Advisors oft sogar zu sehr. Wir gingen so weit, erfahrenen Investoren sachlich falsche Portfolioempfehlungen vorzuschlagen, die inkonsistent mit ihrem Risikoprofil waren. Trotz der objektiv falschen Beratung und zusätzlichen Warnungen, nahmen die Anleger die falsche Empfehlung von einem humanisierten Robo-Advisor mit einer dreimal höheren Wahrscheinlichkeit an, als von einer herkömmlichen Beratung online. Abbildung 2 zeigt das größere Vertrauen in den Robo-Advisor und die deutlich selteneren Ablehnungen des empfohlenen Portfolios. Dieroten Punkte zeigen die Ablehnung des empfohlenen Portfolios an.
In einer weiteren Studie war die Zahlungsbereitschaft für ein maßgeschneidertes Hemd signifikant höher, wenn die Beratung über einen humanisierten Chatbot gemacht wurde, statt über eine traditionelle E-Commerce-Website.

 

Wie man Chatbot-Kontakte optimieren kann
Die in der Unternehmenspraxis implementierten Bot-Schnittstellen sind breit gefächert. Sie reichen von menschenähnlichen Bots bis hin zur bloßen Präsentation eines Markenlogos oder eines einfachen, digitalen Avatars. Einige Anwendungen bieten ein Maximum an Information mit einem sehr reduzierten Dialog zwischen Benutzer und Benutzeroberfläche, andere bieten nur kurzweilige Informationen und eine höhere Interaktionsfrequenz. In vielen Fällen werden die Bots von Chatbot-Anbietern und Plattformen zugekauft und mit den vorgeschlagenen Standardeinstellungen –sogenannten Defaults– implementiert. Anstatt die Standardoption zu übernehmen, sollten Unternehmen sehr sorgfältig prüfen, wie sich die unterschiedlichen Ausgestaltungen der Chatbot-Schnittstellen auf die Benutzerfreundlichkeit und letztlich unternehmensrelevanten Zielgrößen auswirken. Unsere Forschung liefert konkrete Erkenntnisse, um bessere Kunden-Bot-Touchpoints sowohl für Kunden als auch für Unternehmen zu entwickeln. Vier effektive Gestaltungsprinzipien können als Leitfaden dienen.

  • Gestalten Sie die Interaktion so natürlich wie möglich
    Unsere Studien zeigen, dass ein intensiver Dialog zwischen dem Benutzer und der Oberfläche ein zentraler Hebel ist, um Vertrauen aufzubauen. Dieser kritische vertrauensbildende Mechanismus hat in weiterer Folge positive Auswirkungen auf die Markenwahrnehmung und das Upselling-Potenzial. Manager sollten die unreflektierte Übernahme von „Out-of-the-box“ Chatbot-Diensten vermeiden. Einfache Gestaltungsmöglichkeiten wie häufigere, dafür aber kürzere Wortwechsel, führen zu mehr Vertrauen und einem besseren Kundenerlebnis. Dennoch sollten Manager die Gesprächsverläufe sorgfältig überprüfen und evaluieren, ob und inwieweit mögliche Abbrüche im Dialog erfolgen. Wenn das Gespräch mit dem Chatbot dennoch scheitert, sollten Unternehmen mit hybriden Systemen vorbereitet sein, die einen Benutzer unmittelbar an einen menschlichen Servicemitarbeiter weiterleiten.
     
  •  Passen Sie Chatbots an die Eigenschaften der Konsumenten an
    Wir haben zwar nur gezielte und einfache Parameter zur Personalisierung eines Chatbots untersucht - Geschlecht, ähnlich klingende Vornamen und Sprachstil – aber wir sehen große Chancen darin, ein personalisiertes Chatbot-Erlebnis anzubieten. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Personalisierung von Chatbots vertrauensbildend wirkt und zugleich die Marke stärkt.
     
  •  Gestalten Sie den Chatbot markenkonform
    Ein Chatbot sollte sich nicht nur an die Eigenschaften der Verbraucher anpassen, sondern auch zentrale Markenwerte widerspiegeln. Obwohl wir diesen Aspekt in unseren aktuellen Studien nicht untersucht haben, gehen wir davon aus, dass „Chatbot-Persönlichkeiten“ spezifisch an die gewünschte Markenpersönlichkeit angepasst werden können. Nicht nur strukturelle Aspekte einer Chatbot-Interaktion, wie die Häufigkeit der Wortwechsel, sondern auch kontextuelle Faktoren, wie die durch die Art der Sprache ausgedrückte Persönlichkeit, beeinflussen sowohl die Markenwahrnehmung als auch die Kaufentscheidungen der Konsumenten. Die Gestaltung der Persönlichkeit von Maschinen wird daher ein zentrales Feld für zukünftige Forschungsarbeiten und Markenstrategen sein.

Ein Chatbot hilft, Vertrauen und eine stärkere Markenbindung aufzubauen und letztlich mehr Absatz zu erzielen.

  • Beschäftigen Sie sich auch mit den potenziellen Nachteilen personalisierter Chatbots
    Schließlich sollten Sie sich auch mit möglichen Problemen von Chatbots und den für Konsumenten kritischen Punkten auseinandersetzen. Wie im Artikel von Rhonda Hadi dargestellt, kann es bei der Humanisierung von Chatbots zu grundlegenden Problemen kommen. Ihr Beitrag zeigt, dass eine automatisierte Service-Interaktion für bereits unzufriedene Kunden eine Abwärtsspirale in Gang setzen kann, die zur Abwertung der Serviceleistung, des Unternehmens und letztlich der Marke führt.

Chatbots können überzeugen und den Verkauf stärken: Nutzen Sie diese Chance   
Wird die Intelligenz von Maschinen bald so perfekt sein, dass Konsumenten eine Maschine nicht mehr von einem Menschen unterscheiden können? Da die Entwicklungen in der künstlichen Intelligenz immer schneller voranschreiten, ist es durchaus vorstellbar, dass Chatbots und andere humanisierte Technologien dieses Niveau bald erreichen werden. Führungskräfte sollten Chatbots daher nicht nur als ein weiteres digitales Tool zur Kostenreduktion durch Service-Automatisierung sehen. Chatbots können eine Neudefinition der digitalen Kontaktpunkte ermöglichen und zugleich ein Steuerungsinstrument im Vertrieb sein. Die Einsatzmöglichkeiten gehen über reine Service-Interaktionen hinaus, weil sie auch das Unternehmenswachstum fördern können. Chatbots haben weitreichende Potenziale, vom Abverkauf von Zusatzleistungen bis hin zum Aufbau einer engeren Beziehung zwischen Kunde und Marke. Unternehmen, die das volle Potenzial von Chatbots im digitalen Marketing nutzen wollen, sollten Chatbots als strategisches Element in der Beziehung zum Kunden sehen. Sie sollten reflektieren, welche zentralen Eigenschaften des Unternehmens in der Sprache und Darstellung abgebildet werden können, wie die Interaktion möglichst natürlich wirkt und durch die Kontaktfrequenz eine optimale Struktur erhält und welche Möglichkeiten zur Personalisierung verfolgt werden möchten. Wir hoffen, dass der vorliegende Artikel ihnen hierzu eine erste Inspiration geben konnte.

 

Autor/en

Christian Hildebrand
Professor of Marketing Analytics, University of St. Gallen, Switzerland, Christian.Hildebrand@unisg.ch

Anouk Bergner
University of St. Gallen, Switzerland, Anouk.Bergner@unisg.ch

Literaturhinweise

Bergner, Anouk, Hildebrand, Christian, and Häubl, Gerald (2018), "Machine Talk: How Conversational Interfaces Promote Brand Intimacy and Influence Consumer Choice," Association for Consumer Research, Conference Proceedings.
Dale, Robert (2016), “The Return of the Chatbots,” Natural Language Engineering, 22(5), 811–17.

Hildebrand, Christian, and Bergner, Anouk (2019), "Detrimental Trust in Automation: How Conversational Robo Advisors Leverage Trust and Miscalibrated Risk Taking," Society for Consumer Psychology, Conference Proceedings.

Levinson, Stephen C. (2016), “Turn-taking in Human Communication - Origins and Implications for Language Processing,” Trends in Cognitive Sciences, 20 (1), 6–14.