Souverän durch den Regulierungsdschungel: Strategien für erfolgreiches Marketing in einem komplexen Umfeld
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Sokol, D. Mastering the Digital Regulatory Maze: Strategies for Marketing Success in a Complex Landscape. NIM Marketing Intelligence Review, 2024, Sciendo, vol. 16 no. 2, pp. 36-39. https://doi.org/10.2478/nimmir-2024-0015

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NIM Marketing Intelligence Review – Platform Business

Souverän durch den Regulierungsdschungel: Strategien für erfolgreiches Marketing in einem komplexen Umfeld

Digitale Regulierung Verträge Datenschutz KI Kartellrecht

Autorinnen und Autoren

  • Daniel Sokol, Carolyn Craig Franklin Chair in Law and Business at the USC Gould School of Law and Professor of Business, Marshall School of Business, University of Southern California, Los Angeles
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Vorschriften über Vorschriften

Regeln und Gesetze sind in der heutigen Zeit allgegenwärtig. Sie betreffen zahllose Themen wie den Datenschutz und den Missbrauch persönlicher Daten sowie Bereiche wie das Kartell- und Wettbewerbsrecht, KI und FinTechs. In puncto Datenschutz sind beispielsweise die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der EU oder der California Consumer Privacy Act (CCPA) zu nennen. Wettbewerbsvorschriften sind im Gesetz über digitale Märkte (GDM) der EU verankert. Die zahlreichen neuen und geänderten Vorschriften haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Geschäftsabläufe in Unternehmen sowie auf Marketingabteilungen und übliche Praktiken wie Tying- oder Bündelungsverträge bzw. Exklusivvertriebsvereinbarungen. Zudem beeinflussen sie grundlegende Vereinbarungsmechanismen, die Kontaktaufnahmemöglichkeiten mit Kunden betreffen und Plattformökosystemen zugrunde liegen. Abbildung 1 zeigt die Komplexität dieses Feldes in Form einer Word Cloud, die nach dem Zufallsprinzip angeordnet ist.

Verschiedene Regulierungsebenen

Regulierungen gibt es in unterschiedlichen Formen. Bei natürlichen Monopolen wie in der Telekommunikation und der Elektrizitätsversorgung greift die klassische staatliche Gesetzgebung. Weitere Formen der Regulierung zwischen öffentlichen und privaten Akteuren sind zum Beispiel Verhaltenskodizes, die in Marketing und Werbung üblich sind. Und schließlich gibt es auch rein privatrechtliche Regelungen durch Verträge – zum Beispiel in Plattformökosystemen zwischen der Plattform und ihren Nutzern – oder über die Zertifizierung digitaler Lieferketten durch Dritte. Digitale Lieferketten spielen eine immer größere Rolle für die Datenbeschaffung, die Kundenansprache sowie gezielte Werbemaßnahmen. Was früher primär über private Verträge geregelt wurde, ist immer öfter von staatlicher oder gemischter Regulierung betroffen. Manche Regierungen sehen massiven Regelungsbedarf, da sie digitale Plattformen gar als eine neue Art natürliches Monopol betrachten.

Regulierung ist Patchwork: Überschneidungen, Lücken und Spannungsfelder

Manche Vorschriften wurden speziell als Lösung für tatsächliche oder vermeintliche Probleme verfasst, die in der digitalisierten Wirtschaft entstehen. Beispiele hierfür sind die bereits erwähnte DSGVO, das kalifornische CCPA, das DMA oder die IT-Sicherheitsrichtlinien der US-Börsenaufsicht SEC (Securities and Exchange Commission). Darüber hinaus gibt es allgemeinere rechtliche Vorschriften wie das Vertrags-, Schadenersatz- und Kartellrecht, die auch im digitalen Kontext Anwendung finden. Hinzu kommen informelle Normen, die für die Reputation eines Unternehmens wichtig sind und sich in Organisationsstrukturen in der digitalen Wirtschaft niederschlagen.

Unternehmen müssen die verschiedenen rechtlichen und regulatorischen Herausforderungen auf allen Ebenen berücksichtigen.

Angst vor Technologie führt zu stärkerer Regulierung

In den vergangenen Jahren hat die digitale Regulierung weiter zugenommen. Erklärt wird dies unter anderem mit zunehmender Technologie-Angst, die durch KI weiter verschärft wird. Ein Problem im Marketingbereich sind beispielsweise Deepfakes, die menschliche Stimmen täuschend echt nachahmen und Betrug vor allem im Finanzbereich Tür und Tor öffnen. Solche Themen beschädigen das Vertrauen in digitale Märkte. Hinzu kommen der in vielen Ländern beobachtbare Schwund der politischen Mitte sowie der Zulauf zu rechts- und linkspopulistischen Bewegungen, die aus unterschiedlichen Gründen darauf drängen, die Nutzung digitaler Technologien einzuschränken.

Orientierung im Regulierungsdschungel

Einige digitale Vorschriften gehen auf bestehende Gesetze aus dem nicht digitalen Kontext zurück. Regelungen im Bereich des Konsumenten- und Datenschutzes sowie das Kartellrecht wurden beispielsweise bereits lange vor Beginn des digitalen Zeitalters festgelegt. Marketingexperten kennen sich mit diesen Gesetzen und Vorschriften aus und haben Strategien entwickelt, um deren Einhaltung zu gewährleisten und dennoch Möglichkeiten der Markterweiterung auszuschöpfen. Oft übertragen sie die klassischen Marketingregeln einfach auf den digitalen Kontext. Das Marketing muss sich jedoch mit neuen Situationen und Erfordernissen beschäftigen und die zusätzlichen Möglichkeiten digitaler Marketingpraktiken aufgreifen. Die folgenden Empfehlungen können Marketingexperten dabei unterstützen, sich im neuen regulatorischen Umfeld der digitalen Plattformen und Unternehmen zu behaupten.

Die zahlreichen neuen und geänderten Vorschriften haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Geschäftsabläufe in Unternehmen.

> Beachten Sie die Auswirkungen der digitalen Wirtschaft auf die Gesellschaft und agieren Sie vertrauensbildend

Unternehmen haben in der Vergangenheit den Fehler gemacht, die sozialen Kosten des technologischen Fortschritts zu ignorieren und Risiken herunterzuspielen. Künftig geht es also darum, die Auswirkungen von Marketingpraktiken auf die Gesellschaft zu berücksichtigen und mehr Vertrauen in digitale Marketingmethoden aufzubauen. Vertrauen entsteht, wenn Unternehmen transparenter werden und mehr Verantwortung für ihre Geschäftspraktiken übernehmen, möglichst ohne die eigene Innovationskraft zu hemmen. Bislang ist es Unternehmen noch nicht gelungen, ihre häufig auf Daten und KI basierenden Technologien ausreichend zu erklären und deren Auswirkungen auf Wirtschaft, Recht und Gesellschaft klar darzulegen. Darüber hinaus erfordert eine effektive digitale Strategie, dass sich Unternehmen bereits bei der Entwicklung und den Managementprinzipien ihrer digitalen Plattformen und Anwendungen für eine mögliche Überprüfung durch Aufsichtsbehörden rüsten. Die Rolle von Plattformteilnehmern, Nutzern und der Öffentlichkeit sollte also klar definiert werden.

> Berücksichtigen Sie regulatorische Erfordernisse proaktiv

Unternehmen sollten sich intensiv mit den unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen auseinandersetzen. Dazu gehört auch, das Haftungsrisiko für bestimmte Marketingpraktiken zu bestimmen und Gesetzeslücken zu ermitteln. Möglicherweise lassen sich diese Lücken so nutzen, dass sowohl für die Unternehmen als auch für ihre Kunden ein Mehrwert entsteht. Auf diese Weise kann das Management proaktiv auf Gesetze und Vorschriften reagieren. Um die digitale Strategie und das Risikomanagement zu verbessern, müssen Unternehmen und Marketer auch die Art und die Herkunft der von ihnen genutzten Daten verstehen und sich Fragen stellen wie: Welche Daten werden erfasst? Wem gehören die Daten und wer kontrolliert sie? Welche Daten dürfen vermischt und welche nur für ihren ursprünglichen Zweck genutzt werden?

> Nutzen Sie Chancen der Selbstregulierung

Selbstregulierung kann Teil einer größeren digitalen Regulierungsstrategie sein und es Unternehmen ermöglichen, die häufig strengeren staatlichen Vorschriften zu vermeiden. Dabei sollten neben aktuellen Anforderungen auch Unklarheiten und Möglichkeiten der Aufsichtsarbitrage ermittelt werden, um Märkte zu erweitern oder zu erschließen. Eine solche Strategie kann Risiken zwar nicht ausschließen, aber sie ermöglicht ein effektiveres Risikomanagement. Einige der kreativsten Plattformunternehmen haben es geschafft, in diesem Sinn neue Wege zu beschreiten und den gesetzlichen Vorschriften stets einen Schritt voraus zu sein. Hier ist insbesondere die Strategie von Microsoft zu erwähnen: Im Gegensatz zu anderen Big-Tech-Firmen hat es das Unternehmen geschafft, größere digitale Regulierungsmaßnahmen abzuwenden, indem es proaktiv auf Behörden zuging und sein Geschäftsmodell erläuterte.

Der strategische Umgang mit regulatorischen Vorschriften kann als Teil einer umfassenden Differenzierungsstrategie gesehen werden, deren Ziel es ist, bisher ungenutzte Marktchancen aufzugreifen. Ansätze, an die noch niemand gedacht hat und mit denen Unternehmen weitgehend konkurrenzlos sind – sogenannte Blue-Ocean-Strategien – erleichtern die Disruption bestehender und die Erschließung neuer Märkte. Gesetzliche Vorschriften hinken solchen Strategien oft hinterher, was zusätzlichen Handlungsspielraum sowie die Chance bietet, bestehende Regeln und Vorschriften zu umgehen und dabei Mehrwert für Unternehmen und Kunden zu schaffen.

LITERATURHINWEISE

Cennamo, C., & Sokol, D. D. (2021). Can the EU regulate platforms without stifling innovation? Harvard Business Review. hbr.org/2021/03/ can-the-eu-regulate-platforms-without-stiflinginnovation

Rong, K., Sokol, D. D., Zhou, D., & Zhu, F. (2024). Antitrust platform regulation and entrepreneurship: Evidence from China. Harvard Business School Working Paper, No. 24-039. www.hbs.edu/faculty/ Pages/item.aspx?num=65262

Sokol, D. D., & Zhou, B. (2024). Antitrust regulation. Journal of Law and Innovation, 7. papers.ssrn. com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4773345

Autorinnen und Autoren

  • Daniel Sokol, Carolyn Craig Franklin Chair in Law and Business at the USC Gould School of Law and Professor of Business, Marshall School of Business, University of Southern California, Los Angeles
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