
Eckhardt, G., Atanasova, A., Laamanen, M. & Kittinger-Rosanelli, C. Responsible Platforms: Aiming for Social Value Rather than Scale. NIM Marketing Intelligence Review, 2024, Sciendo, vol. 16 no. 2, pp. 46-51. https://doi.org/10.2478/nimmir-2024-0017
Gemeinwohlorientierte Plattformen: Mehr soziale Verantwortung, weniger ungebremstes Wachstum
Die Platform Economy hat ihr Versprechen einer sozialeren Wirtschaft nicht eingelöst
Die Digitalisierung hat unser Konsumverhalten grundlegend verändert und als wohl größte Transformation ein neues Geschäftsmodell hervorgebracht: digitale Plattformen. Der bedeutendste Player im E-Commerce ist heute Amazon, das einerseits eine riesige Auswahl an Produkten, attraktive Preise und eine hohe Benutzerfreundlichkeit bietet, andererseits jedoch lokale Händler aus dem Markt drängt und prekäre Beschäftigungsverhältnisse schafft. Digitale Plattformmodelle haben auch die Sharing Economy befördert, von der man sich viel erhoffte: einfacheren Marktzugang, Flexibilität und bessere Ressourcennutzung sowie wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Mehrwert für die Gesellschaft insgesamt. Sharingplattformen, so die Erwartung, sollten den Interessen aller Stakeholder gerecht werden und den Kapitalismus sozialer machen. Doch während namhafte Plattformen wie Amazon, Airbnb und Uber Angebot und Nachfrage tatsächlich verändert haben, haben sie auch den Materialismus verstärkt. Sie stehen heute für wachsende Lohnungleichheit, Gig Arbeit ohne Absicherung, Probleme für die ortsansässige Bevölkerung, Emissionen und Abfälle, das Ausnutzen von Gesetzesschlupflöchern und Datenschutzprobleme.
Gegenbewegung: Gemeinwohlorientierte Plattformen
In Reaktion auf die zunehmende Größe und Macht gewinnmaximierender Plattformen sind alternative Modelle entstanden, die stärker auf Beteiligung und Kooperation setzen und zusätzliche Stakeholder einbinden. Sie bieten resiliente, nachhaltige Lösungen und treten für fairere Arbeitsbedingungen, eine gerechtere Verteilung von Wohlstand und Profit, die Wiederbelebung der lokalen Wirtschaft sowie die Reduktion von Abfällen und Emissionen ein. In diesem Artikel konzentrieren wir uns auf Plattformkooperativen und von Social Entrepreneurs betriebene Plattformen, die mithilfe nachhaltiger Strategien die negativen Effekte der Mainstream-Plattformen abzumildern versuchen. Auch wenn ihre Ansätze häufig vielversprechend sind, stehen sie doch vor zahlreichen Herausforderungen und sind noch eher Nebenschauplätze der Sharing Economy.
Gemeinwohlorientierte Plattformen sind Nischenplayer, können aber „hyperkapitalistische“ Modelle von der Seitenlinie herausfordern.

Im Zentrum der Plattformkooperativen steht die Solidarität zwischen Nutzern und Eigentümern.
> Plattformkooperativen
Dieses alternative Geschäftsmodell bedient sich derselben Technologien wie die Mainstream-Plattformen, hat aber andere Eigentümerstrukturen, die Mitarbeiter, Kunden und weitere Stakeholder einbeziehen. Im Zentrum der Plattformkooperativen steht die Solidarität zwischen Nutzern und Eigentümern. Alle Interessengruppen sollen von der Innovation und Effizienz der Plattform profitieren. Kooperative Plattformen gelten als Gleichberechtigung und Gemeinschaft fördernde, nachhaltige Alternative zu den etablierten Playern und zeigen, wie eine gerechtere Zukunft der Platform Economy aussehen könnte. Da sie aufgrund ihres Gewinnbeteiligungsmodells eine geringere Rendite versprechen, sind sie für traditionelle Investoren jedoch weniger interessant, was ihre Finanzierung schwierig macht. Zudem kann die Heterogenität der Stakeholder das Plattformmanagement erschweren und Entscheidungsprozesse verlangsamen. Sich gegen die etablierten Player zu behaupten, ist deshalb nicht einfach. Box 1 stellt zwei Beispiele kooperativer Plattformen vor.
> Plattformen, die von Social Entrepreneurs gegründet wurden
Im Gegensatz zum Genossenschaftsmodell der kooperativen Plattformen setzen Social Entrepreneurs mit ihren Plattformen auf neuartige Kooperationen. Ihre Gründer und Mitstreiter teilen eine gemeinsame Mission. Ziel ist es, soziale Innovationen zu ermöglichen und ausgewählte Communitys und Netzwerke nachhaltig zu verändern. Anders als rein kommerziell orientierte Player ist Social Entrepreneurs ein nachhaltiger gesellschaftlicher Mehrwert wichtiger als kurzfristige Gewinne. Die Finanzierung und die Entwicklung der Plattformen stellen die Gründer allerdings vor große Herausforderungen. Das Geld kommt in der Regel von Risikokapitalgebern, aus Crowdfunding-Aktivitäten oder staatlichen Förderprogrammen. Die Mission der Plattformen ist häufig eng verwoben mit der Biografie ihrer Gründer, die ihr Anliegen durch authentische Narrative in die Welt tragen und so Medienaufmerksamkeit erzielen. Box 2 stellt zwei dieser Plattformen vor.
Plattformstrategien, die Märkte sozialer machen
Gemeinwohlorientierten Plattformen fällt es häufig schwer, größere Marktanteile zu gewinnen. Aufgrund ihrer sozialen und ökologischen Ausrichtung haben sie höhere Betriebskosten und müssen höhere Preise verlangen. Obwohl immer mehr Konsumenten die negativen Effekte der Mainstream-Plattformen erkennen, fassen alternativen Modelle nur langsam Fuß. Dennoch können sie etablierte Anbieter herausfordern, indem sie „Veränderung von der Seitenlinie“ bewirken und so zu einer Dezentralisierung des Marktes beitragen. Diese Form der Disruption umfasst drei strategische Dimensionen:
> Den Markt dezentralisieren
Durch den Fokus auf Nischenbedürfnisse und unerschlossene Marktsegmente können gemeinwohlorientierte Plattformen den monopolistischen Tendenzen der etablierten Player etwas entgegensetzen. Statt „Scaling-up“ zu verfolgen, was bedeutet, Marktanteile durch Wachstum zu gewinnen, könnte ihr Erfolgsrezept als „Scaling-deep“ beschrieben werden: das Interesse und die Loyalität der Kunden durch nachhaltige Lösungen zu gewinnen, die bislang fehlten. Für die Plattformmitarbeiter und -partner bedeutet das nicht nur eine bessere Bezahlung, höhere Einkommen und einen faireren Umgang, sondern auch die Chance, neue Marktsegmente zu erschließen. The Drivers Cooperative ermöglicht ihren Fahrern Zugang zu neuen Zielgruppen wie Senioren und Geschäftsleuten. Zudem kooperiert sie mit Großkunden wie Seniorenheimen und Krankenhäusern und entzieht sich so dem direkten Wettbewerb mit Uber oder Lyft, die eher Privatpersonen ansprechen. Sojo bringt seine Schneidereien mit Digital Natives in Kontakt, die sich ohne die Online-Vermittlung niemals in ihre Läden verirren würden. Und über die Bauernkiste finden Landwirte auch Abnehmer in den Städten – eine Zielgruppe, die sonst für sie kaum erreichbar wäre.
> Auf institutionelle Kooperationen setzen
Plattformkooperativen können die bestehenden Strukturen und Machtverhältnisse auch dadurch aufbrechen, dass sie lokale, netzwerkbasierte Kooperationen zwischen kleineren Anbietern ermöglichen. Bei dieser Strategie des „Scaling-out“ replizieren sie ihr Geschäftsmodell an anderen Standorten, indem sie neue Kooperationen mit gleichgesinnten Organisationen eingehen oder neue Partnerschaften aufbauen. Verschiedene Plattformen konnten so neue Ökosysteme als Alternativen zu etablierten Anbietern schaffen und die Machtverhältnisse in den Märkten verschieben. Bei Fairbnb etablierte man institutionelle Partnerschaften mit örtlichen Kommunen und konnte so in neue Regionen expandieren. The Drivers Cooperative profitierte von spezialisierten Angeboten für das Gesundheitswesen: Erst kürzlich hat sich der Fahrdienstvermittler durch Angebote von Fahrgemeinschaften und NichtNotfall-Krankentransporten neue Segmente erschlossen. Und auch Sojo erweitert sein Netzwerk und kooperiert mit anderen Plattformen wie Vestiaire Collective, um Kontakte zu Kurierdiensten und Schneidereien in anderen britischen Regionen zu knüpfen.
<p>Trotz ihres kleineren Marktanteils können gemeinwohlorientierte Plattformen den öffentlichen Diskurs über die Verteilung von Wohlstand, Macht und Konsum entscheidend beeinflussen.</p>
> Authentische Narrative entwickeln
Trotz ihres kleineren Marktanteils können gemeinwohlorientierte Plattformen den öffentlichen Diskurs über die Verteilung von Wohlstand, Macht und Konsum entscheidend beeinflussen. Während etablierte Plattformen im Visier von Gesetzgebern und Regulierungsbehörden sind, finden alternative Player immer mehr Beachtung in den Mainstreammedien. Vorreitern gelingt es oft ausgezeichnet, ihre Sichtbarkeit zu erhöhen. Ihre charismatischen, authentischen Entrepreneure wecken Begeisterung und fungieren als Vorbilder. Die Sojo-Gründerin Josephine Philips kam zum Beispiel in der Computerzeitschrift Wired zu Wort und hielt 2023 einen TED-Talk zu nachhaltiger Mode. Therese Fiegl tritt in den regionalen Medien regelmäßig als Thought-Leaderin und Netzwerkerin für innovative und nachhaltige Projekte auf. Auch The Drivers Cooperative nutzt authentische Erzählungen, um für ihre Werte zu werben. Durch die Verbreitung dieser alternativen Geschäftsmodelle über die Medien und Mund-zuMund-Propaganda verändern sich die Marktdynamiken und die Wahrnehmung der Stakeholder. Auf diese Weise gelingt es kooperativen Plattformen, prosoziales Verhalten und damit das ursprüngliche Ziel der Sharing Economy zu leben und wieder in den Fokus zu rücken. Ihr Erfolg zeigt, dass ökologische und sozial orientierte Plattformen durchaus mithalten können, wenn auch in kleinerem Rahmen.
Auch wenn gemeinwohlorientierte Plattformen weniger weit verbreitet sind als Mainstream-Anbieter, können sie deren „hyperkapitalistische“ Modelle von der Seitenlinie herausfordern. Aus ihrer Nischenposition verändern sie die Platform Economy langsam, aber sicher und tragen dazu bei, dass sich auch die etablierten Player bewegen und die Kunden nachhaltiger konsumieren. Auch wer klein ist, kann mächtig sein!
LITERATURHINWEISE
Atanasova, A., Eckhardt, G. M., & Laamanen, M. (2024). Platform cooperatives in the sharing economy: How market challengers bring change from the margins. Journal of the Academy of Marketing Science.
Laamanen, M., Forno, F., & Wahlen, S. (2022). Neomaterialist movement organizations and the matter of scale: Scaling through institutions as prefigurative politics? Journal of Marketing Management, 39(9–10), 857–878. doi.org/10.1080/02672 57X.2022.2045342
Scholz, T. (2023). Own this!: How platform cooperatives help workers build a democratic Internet. Verso. Schor, J. (2020). After the gig: How the sharing economy got hijacked and how to win it back. University of California Press.