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IoT - Konsumenten und das Internet der Dinge

Das komplexe Netzwerk der Dinge: Wenn Technologien eigenständig Geschäfte machen

William Rand

Keywords

Internet der Dinge, IoT, Komplexe Systeme, Netzwerke, Emergenz, Feedback

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Konsumenten und technologiebasierte Interaktionen
Vieles wird zukünftig automatisch und ohne aktives Zutun durch Konsumenten geschehen, genau wie in Beates Leben (siehe Box 1). Was Beate von all dem mitbekommt, ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Unter der Oberfläche kommunizieren und interagieren Dutzende Anwendungen miteinander. In Zukunft geht es in unserer Welt also eher darum, unterschiedliche Produkte in dieses Geflecht zu integrieren und sie zu befähigen, mit anderen Geräten zu kommunizieren, als um die direkte Konsumentenansprache. In der Welt des Internets der Dinge (IoT) sind die Endpunkte und verantwortlichen Personen nach wie vor die Konsumenten, aber diese stehen im Zentrum eines komplexen Netzwerks von Interaktionen unterschiedlicher Geräte (Abb. 1).  Um in diesem komplexen Umfeld erfolgreich zu sein, muss eine Marke innerhalb des Netzwerks funktionieren; außerdem muss sichergestellt sein, dass die eigenen Botschaften letztendlich auch den Konsumenten erreichen.
 

Box 1: Was Beate in naher Zukunft so machen wird …
Beate ist Mitte zwanzig und von Beruf Modedesignerin. Beim Aufwachen erkundigt sie sich sofort bei Alexa nach dem aktuellen Wetter. Alexa teilt ihr mit, dass es sonnig sein wird, mit ein paar möglichen Schauern, und informiert sie sogleich darüber, dass ihre Bluse in der Reinigung abholbereit wäre – gemäß einer E-Mail, die über Nacht eingegangen ist. Anschließend spielt Alexa die morgendliche Nachrichtensendung ab, auf die Beates Lieblings-Podcast folgt, den Alexa aus Aufzeichnungen über Beates Google-Pixel-Nutzungsgewohnheiten kennt. Während sich Beate für den Tag bereit macht, meldet sich ihr „Samsung“-Kühlschrank mit einer Bestellliste für Lebensmittel, die entsprechend ihrem Bestellverhalten automatisch generiert wurde und die sie nur noch zu bestätigen braucht. Sie gibt die Bestellung frei und geht Richtung Wohnungstür, um zu ihrem Morgen-Workout zu starten. Als sie die Eingangstür passiert, sendet ihre Nest-Türklingel eine Nachricht auf ihre Apple Watch – eine Erinnerung, den Regenschirm mitzunehmen. Auf dem Weg ins Fitnessstudio pingt ihr Android-fähiger Ford CMAX und erinnert sie an einen Voucher für ein Gratisgetränk bei Starbucks, das sie im Vorbeifahren gleich mitnehmen könnte, und auch nochmals an die abholbereite Bluse in der Reinigung.

 

Wie man Konsumenten in einem komplexen IoT-Netzwerk erreicht
Wir können uns das Internet der Dinge als Netzwerk vorstellen, dessen Teile IoT-Geräte und Botschaften sind (siehe Box 2). Nur wenige Geräte, wie Amazons Alexa, Apples Uhr oder Googles Pixel, verfügen über die Fähigkeiten, direkt mit Konsumenten zu kommunizieren, während die anderen Geräte im Netzwerk nur untereinander Informationen austauschen können. Jede Marke, die in dieses komplexe Netzwerk eintritt, verfolgt deshalb das Ziel, die richtige Botschaft an das richtige Gerät zu senden, damit letztendlich eine relevante Botschaft bis zu den Konsumenten vordringt.

Was dann tatsächlich von Konsumenten wahrgenommen wird, ist nicht unbedingt von vornherein klar. Im Fall von Beate wäre ihr Auto ohne die Starbucks-App nicht in der Lage, sie an den Gratis-Kaffee zu erinnern. Und ohne das GPS in ihrem Auto, das weiß, wo sie sich befindet und wo sie hinwill, wüsste die Starbucks-App nicht, dass sie an einem Starbucks-Lokal vorbeikommen würde. Eine Marke allein ist nicht in der Lage, eine Botschaft zu entwickeln, die interessant für Konsumenten ist. Marken müssen mit anderen Apps und Geräten kooperieren, um Erfahrungen zu ermöglichen, die Konsumenten wie Beate gefallen.

Zusätzlich ergibt sich bei jeder Erfahrung, die aus dem IoT-Netzwerk heraus entsteht, Feedback, das wiederum die weiteren Entscheidungen einzelner Marken beeinflusst. Lebensmittelmarken könnten beispielsweise darauf aufmerksam werden, dass Nahrungsmittel immer öfter über „Samsung“-Kühlschränke bestellt wird. Folglich könnten immer mehr Lebensmittelketten Online-Endpunkte für das IoT entwickeln, die automatische Bestellungen dieser Geräte zulassen. Außerdem könnten mehr Produzenten von Verbrauchsgütern RFID-gestützte Produkte einführen, sodass ein Kühlschrank besser Buch führen kann. Solche Entscheidungen könnten in weiterer Folge zusätzliche Erweiterungen des IoT bedingen, zum Beispiel Smart-Phone-Apps, die auf Basis der RFID-Kennzeichnung die aufgenommenen Kalorienmengen aufzeichnen.

Box 2: Das Internet der Dinge – ein komplexes System
Wie können Manager verstehen, was im Internet der Dinge abläuft? Wie setzen sie Prioritäten für ihre Investitionen? Wie entscheiden sie, welche neuen Produkte entwickelt werden oder wie man ältere Produkte IoT-tauglich macht? Ein Denkmodell, das die Beantwortung dieser Fragen erleichtern kann, ist die Theorie der komplexen Systeme. Diese Theorie wird eingesetzt, um unterschiedlichste Systeme besser verstehen zu können: Ameisenkolonien, Wohnortentscheidungen, unser Immunsystem oder Unternehmensgründungen wurden bereits durch diese Linse betrachtet. 2003 wählte Procter & Gamble die Perspektive komplexer Systeme, um ein Agent-Based-Modell für ein mit dem IoT vergleichbares Anwendungsgebiet zu entwickeln. Das Modell ermöglichte die Optimierung der Lieferkette und half, die Betriebskosten um geschätzte 300 Mio. Dollar zu reduzieren.

Komplexe Systeme sind durch eine Vielzahl interagierender Elemente charakterisiert. Das Resultat der gesammelten Aktivitäten ist nicht einfach zu verstehen. Es ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Entscheidungen einzelner Elemente und deren Auswirkungen innerhalb des Systems. Viele komplexe Systeme werden durch zwei Hauptprozesse charakterisiert, die auch im IoT ablaufen:  

Emergenz: Im Netzwerk entstehen Verhaltensmuster, die sich aus den Interaktionen ergeben. Der Systemoutput unterscheidet sich von dem, was ein einzelnes Element allein zustande gebracht hätte, und ist anders als die reine Summe aller Teilwirkungen. 
Feedback: Die Verhaltensmuster führen zu Effekten, die wiederum als Feedback die einzelnen Systemkomponenten beeinflussen. Aus diesem Feedback kann man viel über die Systemdynamik lernen und es nutzen, um ein System in die gewünschte Richtung zu steuern
(siehe Abbildung 2).

Wie man das komplexe IoT-System erfolgreich managen kann
Was sagt uns nun die Theorie komplexer Systeme über das Internet der Dinge? Ein paar Lektionen sind direkt anwendbar:

  • Man kann komplexe Systeme nicht kontrollieren, aber man kann sie lenken
    Der Versuch, ein komplexes System mit vielen unterschiedlichen und sich bewegenden Teilen zu kontrollieren ist ein sinnloses Unterfangen. Die Erforschung komplexer Systeme hat immer wieder gezeigt, dass es schwierig ist, sie in einen bestimmten Zustand zu zwingen. Taxiunternehmen mussten diese Erfahrung machen, als sie versuchten, urbane Transportsysteme zu kontrollieren, indem sie festschreiben wollten, wer in einer Stadt Taxidienste anbieten darf. Uber und Lyft zeigten auf, dass diese versuchte Kontrolle nutzlos war. Wenn die Taxiunternehmer hingegen vorausschauender gedacht und die Vorteile App-basierter Fahrgemeinschaften erkannt hätten, wäre möglicherweise diese disruptive Wettbewerbssituation zu verhindern gewesen.
     
  • Sicherheitslücken einzelner Elemente können in unerwarteter Form relevant werden
    Da IoT-fähige Geräte mit anderen Anwendungen des Systems kommunizieren, müssen ihre Entwickler sicherstellen, dass nur gültige Informationen ausgetauscht und allfällige Probleme innerhalb des restlichen Systems vorhergesehen werden. Wenn Sicherheitsaspekte unterschätzt werden, gefährdet dies das gesamte System inklusive seiner Konsumenten. Chrysler beispielsweise hat – so wie viele andere Autoproduzenten auch – seine Jeep Cherokees internetfähig gemacht. Im eigenen Uconnect-System, das Unterhaltung, Navigation und einige Steuerungsfunktionen für das Auto beinhalten sollte, wurde das Auto selbst als integraler Teil des IoT vorgesehen. Das System wurde allerdings gehackt, und es hat sich gezeigt, dass das gesamte Fahrzeug ferngesteuert werden konnte. Obwohl das Uconnect-System weder den Motor noch die Räder direkt steuern konnte, gelang es den Hackern, Signale einzuschleusen, die den Motor abstellten, die Bremsen deaktivierten und die Fahrten des Autos über das GPS-System tracken konnten. Über Uconnect verschafften sich die Hacker Zugang zum System, und da das Uconnect-Entertainment-System mit einem weiteren Netzwerk verbunden ist, das den Antrieb und die Räder kontrolliert, konnten sie mit fingierten Signalen das Auto stoppen.
     
  • Gatekeeper besitzen in komplexen Systemen eine Schlüsselfunktion  
    Ein einzelnes Element eines komplexen Systems hat für sich genommen nur wenig Einfluss und andere Elemente im Umfeld können als Gatekeeper zu weiteren Elementen dienen. Im Internet der Dinge ist das besonders wichtig, da in vielen Fällen das Ziel lautet, Informationen oder eine bestimmte Botschaft bis zu einem menschlichen Konsumenten durchzuschleusen. Um durchdringen zu können, muss ein Produkt mit einer ganzen Palette anderer Geräte kommunizieren. Amazons Alexa wird zum Beispiel immer beliebter, und gesprochene Suchbefehle oder Produktbestellungen sind die am häufigsten genutzten Features. Aktuell limitiert Amazon die Auswahl der über Alexa verfügbaren Marken beträchtlich. Kleinere Marken können deshalb im IoT kaum in Erscheinung treten ­– es sei denn, sie bringen ihre eigenen Lösungen mit. In letzter Zeit ermuntert Amazon Marken dazu, eigene, markenspezifische Apps für Alexa zu entwickeln, sogenannte „Skills“. So hat beispielsweise Unilever den Skill „Cleanipedia” entwickelt, der Konsumenten in Angelegenheiten der Haushaltsreinigung berät und Unilever-Produkte als Problemlöser vorschlägt. Durch die Zusammenarbeit mit diesem mächtigen Gatekeeper hat Unilever eine Möglichkeit entwickelt, Kunden zu erreichen, die Alexa nutzen.
  • Die Komplexität sollte akzeptiert und ergänzt, aber nicht gefürchtet werden
    Eine der nützlichsten Eigenschaften des IoT sind die massiven Datenmengen, die es hervorbringt. Wir erfahren, was Konsumenten tun, wie sie es tun und wie andere Komponenten des IoT mit den eigenen Produkten und Apps zusammenarbeiten. Es ist wichtig, diese Daten zu untersuchen, um die Nutzung der IoT-fähigen Produkte und ihre Interaktionen und Verknüpfungen innerhalb des komplexen Systems zu verstehen. So gilt beispielsweise eine Kamera, die auf eine Kaffeemaschine der Universität Cambridge gerichtet war, als eine der ersten IoT-Anwendungen, und das in einer Zeit, als der Begriff „Internet der Dinge“ noch gar nicht gebräuchlich war. Die Mitarbeiter in diesem Gebäude konnten mit der Kamera sehen, ob die Kanne gefüllt war oder ob es keinen Kaffee gab. Niemand hatte ursprünglich beabsichtigt, Kameras für die Beobachtung solcher Alltagsaktivitäten einzusetzen. Trotzdem war diese Entwicklung eine Inspiration für die ersten Webcams, die inzwischen auf der ganzen Welt üblich sind, und mit denen man verfolgen kann, was an anderen Orten gerade vor sich geht.  Die Daten über die Nutzungsgewohnheiten der Konsumenten helfen Unternehmen, eine bessere Vorstellung darüber zu bekommen, was die Menschen von IoT-fähigen Geräten tatsächlich erwarten. Mithilfe dieses Wissens können sie bessere Lösungen entwickeln und dadurch auch ihre eigenen Ziele besser erreichen.

Autor/en

William Rand, Professor of Marketing, Poole College of Management, NC State University, USA wmrand@ncsu.edu

Literaturhinweise

Holland, J. H. (2000): Emergence: From chaos to order. OUP Oxford.

Mitchell, M. (2009): Complexity: A guided tour. Oxford University Press.

Rand, W. and Rust, R. T. (2011): “Agent-based modeling in marketing: Guidelines for rigor”, International Journal of Research in Marketing, Vol. 28 (3), 181-193.

Sterman, J. D. (2000): Business dynamics: systems thinking and modeling for a complex world (No. HD30. 2 S7835 2000).