NIM Marketing Intelligence Review – Virtuelle Konsumerlebnisse - Die Zukunft des Einkaufens im Metaverse

Früh übt sich: Marketingchancen im Metaverse

Virtuelle Produkte Virtueller Handel Avatare Metaverse Marketing Metaverse

Autorinnen und Autoren

  • Yogesh Dwivedi, Professor of Digital Marketing and Innovation, School of Management, Swansea University, Swansea, UK
  • Laurie Hughes, Senior Lecturer, School of Management, Swansea University, Swansea, UK
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Das Metaverse formiert sich

Wer vom Metaverse spricht, denkt meist an eine virtuelle Welt mit einer immersiven 3D-Umgebung, die parallel zur realen Welt ein virtuelles Leben möglich macht. Der Einstieg erfolgt über technische Devices wie z. B. Virtual-Reality(VR)-Brillen, und Menschen nutzen Avatare, um mit anderen Avataren oder sonstigen virtuellen Repräsentanten und Objekten zu interagieren. Es wäre passender, von Metaverses im Plural zu sprechen, da es mehrere Metaverse-Plattformen gibt und wohl auch weiterhin geben wird. Der Hype rund ums Metaverse ist größtenteils auf Mark Zuckerbergs Visionen und Investitionen zurückzuführen, die unsere Art und Weise, zu interagieren und zu kommunizieren, grundlegend verändern sollen, was durch die Umbenennung von „Facebook“ in „Meta“ noch unterstrichen wurde. Momentan jedoch ist ein Metaverse, in dem sich ein signifikanter Teil unseres Lebens und unserer Aktivitäten abspielt, noch Zukunftsmusik. Und auch über die weitere Entwicklung besteht Uneinigkeit: Wird das Metaverse tatsächlich das Milliardengeschäft, das immer wieder prognostiziert wird? Dennoch wollen viele Unternehmen vorbereitet sein, auch im Marketingbereich.

Marken können im Metaverse Produkte und Dienstleistungen anbieten, die in der realen Welt unmöglich sind.

Integration des Metaverse in Marketingstrategien

Im Metaverse wird es für Marken möglich, mit verschiedenen Funktionen und Tools Angebote zu kreieren, die in der realen Welt unmöglich sind. Da die Naturgesetze in der virtuellen Welt nicht gelten, können Marketer ihrer Fantasie freien Lauf lassen und einzigartige Vertriebskanäle, Produkte und Erlebnisse anbieten. Abbildung 1 zeigt einen Überblick über die Chancen und Herausforderungen des Metaverse-Marketings.

> Metaverse als Third Space für den Einzelhandel

Man geht davon aus, dass sich Metaverse-basierte Einkaufsmöglichkeiten zunächst neben üblichen Onlineshops und Offlinekanälen wie z. B. stationären Läden bilden und quasi ein dritter Raum entstehen wird. Das Metaverse wird dort neue Chancen bieten, bestehende und potenzielle Kunden mit immersiven Erlebnissen zu erreichen. Daher sollten Marketingmanager eine umfassende und Channel-übergreifende Strategie für die drei Bereiche entwickeln. Die virtuelle Welt ermöglicht neue sinnvolle und umfassende Interaktionen und Markenerlebnisse, die über das physische Einkaufen hinausgehen. Der hohe Grad an Immersion und Interaktivität kann auch für physische Läden von Vorteil sein. So können beispielsweise kleine Händler ihren begrenzten Raum durch zusätzliche digitale Ladenflächen im Metaverse erweitern, um ihr gesamtes Produktsortiment wirkungsvoll zu präsentieren. Kunden können in solchen Läden hochpersonalisierte Angebote erleben oder Produkte direkt zu Hause ausprobieren. IKEA hat z. B. Augmented-Reality(AR)-Anwendungen eingeführt, mit denen Kunden ausprobieren können, wie eine Lampe im eigenen Zimmer aussieht. Auch Dyson ist bereits mit einer eigenen Virtual-Reality-App am Start, die Kunden ermöglicht, Produkte in einer immersiven Onlineumgebung zu testen.

> Metaverse-Markenkommunikation

Werbung im Metaverse kann ihr volles Wirkungspotenzial nur entfalten, wenn sie interaktiv und immersiv gestaltet ist. Auch wenn nicht alle Konsumenten aktiv beteiligt sein wollen, werden Interaktionsmöglichkeiten mit Botschaften und Produkten gern genutzt. Metaverse-Werbung muss auf spontane Interaktionschancen vorbereitet sein, da die virtuelle Umgebung ein Präsenzgefühl vermittelt. Dadurch können sich Konsumenten dem Produkt stärker verbunden fühlen und Botschaften besser verarbeiten. Auch Brand Communities finden im Metaverse einen vielversprechenden Kommunikationsraum. Markentreue ist für den langfristigen Erfolg von Marken entscheidend, und im Metaverse können sich Mitglieder von Brand Communities effektiver als in Chatrooms oder über Blogs vernetzen und kommunizieren. Auch Veranstaltungen und Wettbewerbe können im Metaverse ähnlich wie im wirklichen Leben organisiert werden und eröffnen Marken zusätzliche Kontaktchancen.

> Virtuelle Produkte und digitale Zwillinge zur Erschließung neuer Einnahmequellen

Das Metaverse bietet Unternehmen die Möglichkeit, eine Art Parallelwirtschaft aufzubauen und durch den Verkauf virtueller Markenprodukte ergänzend zu physischen Produkten zusätzliche Einnahmen zu generieren. Manche Marken bringen z. B. Non-Fungible-Token(NFT)-Kollektionen auf den Markt. Um im Metaverse zusätzliche Einnahmequellen zu erschließen, bietet z. B. Adidas virtuelle Wearables an und verkauft Lamborghini eigene Kunstwerke. Das Metaverse bietet auch eine Plattform für den Verkauf digitaler Zwillinge – digitaler Nachbildungen realer Objekte –, die von den Avataren der Konsumenten genutzt werden können. So kooperiert Forever 21 z. B. mit der Spieleplattform Roblox und lädt Nutzer ein, eigene virtuelle Forever21-Läden zu gestalten und zu eröffnen. Dort können sie virtuelle Versionen von Produkten anbieten, die auch als physische Pendants in Onlineshops erhältlich sind. Auch einige Luxusmodehäuser erkunden Chancen im Metaverse (siehe Box 1).

Herausforderungen im Metaverse

Bei aller Begeisterung über die neuen Chancen im Metaverse birgt die virtuelle Welt auch Herausforderungen und neue Risiken für Einzelne und die Gesellschaft insgesamt. Wer eine erfolgreiche Metaverse-Marketingstrategie entwickeln möchte, sollte diese Risiken kennen und bei Entscheidungen berücksichtigen.

> Technische Herausforderungen

Marken und Plattformanbieter müssen sich bei der Entwicklung des Metaverse mit vielen infrastrukturellen und technischen Fragen befassen. Der Zugang zum Metaverse sollte einfach über funktionierende Schnittstellen möglich sein und soziale sowie kulturelle Einflussfaktoren berücksichtigen. Verbesserte Hard- und Software sind wesentliche Voraussetzungen für die Weiterentwicklung des Metaverse. Der hohe Preis von VR- oder AR-Headsets und anderem Zubehör schränkt die Zugänglichkeit und die Erfahrungsmöglichkeiten der Nutzer und damit die Ambitionen der Marken im Metaverse nach wie vor ein. Auch die Erlebnisqualität ist noch lange nicht perfekt und erfordert erhebliche Fortschritte bei den Technologien.

Konsumentenvertrauen, Datensicherheit und potenzieller Betrug stellen große Herausforderungen dar.

> Datenschutz und Datensicherheit

Der Datenschutz im Metaverse ist eine besonders große Herausforderung, da vielfältige Informationen über die teilnehmenden Personen und ihre Interaktionen gesammelt werden. Neben Nutzer-Passwörtern, E-Mail-Adressen usw. können Metaverse-Plattformen auch das Nutzerverhalten über biometrische Daten und Aufzeichnungen zu Interaktionen der Avatare verfolgen. Händler können sogar physiologische Reaktionen wie Stimmlage und Mimik der Nutzer in Echtzeit über verschiedene Kanäle wie Mikrofone und tragbare Geräte mitverfolgen und dadurch eine Fülle von Informationen für gezielte Werbung und Profiling erhalten. Diese Informationen können genutzt werden, um individualisierte, den Nutzererwartungen angepasste Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Diese Fülle an wertvollen Informationen kann jedoch auch Hacker anziehen und den Diebstahl persönlicher Daten attraktiver machen. Im Metaverse gibt es außerdem Probleme im Zusammenhang mit Identitätsdiebstahl, denn für Bots oder Betrüger ist es relativ einfach, den Stil, die Daten und die Persönlichkeit von Nutzern nachzuahmen. Diese Gefahren machen potenzielle Kunden misstrauisch, und es ist noch ungelöst, wie Konsumenten überprüfen können, ob Avatare echt und vertrauenswürdig sind. Abhilfe schaffen könnte eine biometrische Identifizierung, die schon in naher Zukunft verfügbar sein sollte. Konsumentenvertrauen, Datensicherheit und potenzieller Betrug stellen jedenfalls große Herausforderungen dar.

> Fehlverhalten von Nutzer-Avataren

Auch die Zahl gemeldeter Fälle von Belästigung, sexuellem Missbrauch, Mobbing, Hassrede, Rassismus, illegalem Glücksspiel und weiteren Formen unerwünschten Verhaltens auf Metaverse-ähnlichen Plattformen nimmt zu. Im Dezember 2021 schrieb eine Frau aus Großbritannien in einem Blogbeitrag, dass sie schon in ihrer ersten Minute im von Meta entwickelten virtuellen Spiel Horizon Worlds von drei bis vier männlichen Avataren verbal und sexuell belästigt worden war. Es gibt mehrere Gründe, warum Missverhalten im Metaverse immer wieder vorkommt. Ein wichtiger Auslöser ist der bekannte Online-Enthemmungseffekt, der in einer Onlineumgebung und eben auch im Metaverse Menschen dazu verleitet, Dinge zu tun, die sie in der realen Welt nicht tun würden. Marken sollten deshalb das Thema Plattform-Governance ernst nehmen und wachsam sein, da das Fehlverhalten einzelner Nutzer ihrem in der realen Welt aufgebauten Ruf und Image schaden könnte.

Werbung im Metaverse kann ihr volles Wirkungspotenzial nur entfalten, wenn sie interaktiv und immersiv gestaltet ist.

Die virtuelle und reale Koexistenz von Marken ist herausfordernd

Das Branding im Metaverse muss die Markenwerte widerspiegeln, und Markenmanager müssen prüfen, ob mögliche Nutzer über ausreichende Ressourcen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Technologien und finanzielle Mittel für die Teilnahme an der virtuellen Welt verfügen. Dies kann je nach soziokulturellem Hintergrund und Altersgruppe variieren. Manager müssen auch technische und infrastrukturelle Probleme lösen, ethisches Verhalten sicherstellen und gesetzliche Vorgaben befolgen. Professor Giampaolo Viglia, Chefredakteur des Journal of Psychology & Marketing, fasst den aktuellen Stand der Metaverse-Forschung zusammen und betont den Bedarf an weiterer Forschung: „Das Metaverse steckt noch in den Kinderschuhen, aber es gibt viele zukünftige Anwendungen, die Konsumenten unschätzbare Vorteile bringen können. Das Metaverse hat jedoch auch Schattenseiten und setzt Konsumenten zusätzlichen Risiken aus. Daher brauchen wir eine hochwertige Metaverse-Forschung, um zu verstehen, wie wir Vorteile maximieren und Risiken minimieren können.“ Skalierbarkeit, Interoperabilität und das allgemeine Geschäftsumfeld des Metaverse sind zwar noch vage, aber wer den Zug nicht verpassen will, sollte sich mit der neuen Welt vertraut machen. Und wie können sich Unternehmen auf das Metaverse vorbereiten? Indem sie z. B. einen Blick auf beliebte Spiele- und Interaktionsplattformen wie Roblox, Decentraland, Sandbox und Second Life werfen und sich vorzustellen versuchen, wie ihre Marken und Kunden Teil dieser Welt sein könnten.

LITERATURHINWEISE

Dwivedi, Y. K., Hughes, L., Wang, Y., Alalwan, A. A., Ahn, S. J., Balakrishnan, J., ... & Wirtz, J. (2022). Metaverse marketing: How the metaverse will shape the future of consumer research and practice. Psychology & Marketing, 1–27. doi.org/10.1002/mar.21767

Dwivedi, Y. K., Hughes, L., Baabdullah, A. M., RibeiroNavarrete, S., Giannakis, M., Al-Debei, M. M., ... & Wamba, S. F. (2022). Metaverse beyond the hype: Multidisciplinary perspectives on emerging challenges, opportunities, and agenda for research, practice and policy. International Journal of Information Management, 66, 102542. doi.org/10.1016/j.ijinfomgt.2022.102542

Autorinnen und Autoren

  • Yogesh Dwivedi, Professor of Digital Marketing and Innovation, School of Management, Swansea University, Swansea, UK
  • Laurie Hughes, Senior Lecturer, School of Management, Swansea University, Swansea, UK


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