Publikationen

Zitiervorschlag

Frank R., Unfried, M., Schreder, R., & Dieckmann, A. (2016). Ethischer Textilkonsum: Nur eine Frage der Selbstlosigkeit? GfK Marketing Intelligence Review, 8(1), 52-58

Jahr

2016

Autorinnen und Autoren
Ronald Frank,
Dr. Matthias Unfried,
Regina Schreder,
Prof. Dr. Anja Dieckmann
Titel der Publikation
Ethischer Textilkonsum: Nur eine Frage der Selbstlosigkeit?
Publikation
NIM Marketing Intelligence Review

Ethischer Textilkonsum: Nur eine Frage der Selbstlosigkeit?

Bei Fair-Trade-Kleidung spiegeln sich die moralischen Ansprüche der Konsumenten nicht unbedingt im Kaufverhalten wider.

Ja, aber …

Würden Sie ein T-Shirt kaufen, wenn Sie wissen, dass es unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt wurde? Vermutlich würden die meisten diese Frage mit Nein beantworten. Gleichzeitig fristet, was harte Verkaufszahlen angeht, Fair-Trade-Kleidung immer noch ein Nischendasein. Laut Zahlen aus dem Textilpanel von GfK Fashion & Lifestyle hat in den ersten drei Quartalen des Jahres 2015 nur etwa jeder vierte Konsument in Deutschland mindestens ein Bekleidungsstück mit einem Ökolabel wie Fairtrade, GOTS oder Textiles Vertrauen gekauft. Der Anteil der Bekleidung mit einem expliziten Fair-Trade-Label fällt noch merklich geringer aus.

Warum also kaufen wir selbst nach Katastrophen wie dem Einsturz des Rana Plaza im Jahr 2014 mit über 1100 Toten nicht häufiger fair produzierte und gehandelte Kleidung? Sicherlich gibt es Konsumenten, denen die Herstellungsbedingungen eher egal sind, auch wenn sie das vielleicht nicht offen zugeben. Und selbst bei Konsumenten, denen soziale Standards bei der Herstellung wichtig sind, kann es an Vertrauen in Fairtrade-Labels fehlen. Oder sie betrachten es als Verantwortung der Politik, solche Standards durchzusetzen, weil sie meinen, als einzelne sowieso nichts an den Zuständen ändern zu können.

Individuelle Einstellungen sind ein Aspekt, aber es gibt auch noch andere Gründe für die mangelnde Kaufbereitschaft. Fairtrade-Kleidung ist oft nur in spezialisierten Läden verfügbar. Die Auswahl ist geringer und nicht jeder Geschmack wird getroffen. Auch der meist signifikant höhere Preis spielt eine Rolle. Viele können oder wollen nicht mehr als notwendig bezahlen. Die Produktionsstätten sind normalerweise weit entfernt, sodass sich das Leid der Näherinnen leicht ausblenden lässt. Außerdem sieht man der Kleidung das Öko oder Fair meist nicht an. Man kann sich durch den ethischen Konsum also weniger leicht profilieren, als durch die üblichen Designerklamotten.

Aber was bewegt Konsumenten nun tatsächlich Fairtrade zu kaufen oder eben nicht? Gibt es vielleicht Kundensegmente, die schneller und öfter nach ethischen Kriterien einkaufen als andere? Welche Typen haben mit Öko gar nichts am Hut? Um genauer zu ergründen, warum der Anteil fair gehandelter Kleidung so gering ausfällt, hat der GfK Verein eine Untersuchung durchgeführt (siehe Box 1).

Box 1 - Studie: Welche Rolle spielen Fairness und Altruismus beim Kleiderkauf der Deutschen?

Im Sommer 2015 wurde zu diesem Thema eine kurze repräsentative GfK-CAPI-BUS Befragung unter knapp 2000 deutschen Konsumenten durchgeführt. Neben soziodemografischen Daten haben wir allgemeine Persönlichkeitsmerkmale, die Wichtigkeit verschiedener Kaufkriterien, die Zahlungsbereitschaft sowie Einstellungen zu Fairtrade-Siegeln erfragt, und schließlich altruistisches Verhalten im sogenannten Diktatorspiel, einem Konzept aus der Verhaltensökonomie, erfasst.

Beim Diktatorspiel handelt es sich um ein einfaches, verhaltensökonomisches Instrument, mit dem man testet, wie altruistisch Individuen sind. Ein Befragter bekommt einen Geldbetrag und kann entscheiden diesen zu behalten oder nach Belieben mit einer anderen Person zu teilen. Da die monetären Folgen real sind, kommt das Verhalten im Spiel einer echten ökonomischen Entscheidung näher. Die Ergebnisse sind realistischer als bei hypothetischen Fragen ohne reale Auswirkungen und die Gefahr von Verzerrungen durch sozial erwünschte Antworten ist geringer. Im Rahmen der Studie erhielten die Befragten vom Interviewer 2 Euro. Diese konnten sie entweder behalten oder aber in Schritten von 50 Cent an ein Kinder- und Jugendhilfezentrum spenden.

Fairtrade und Umweltschutz sind wenig relevante Kaufmotive

Verglichen mit Einkaufkriterien, die sich auf Qualität oder Preis der Kleidung beziehen, spielen umweltverträgliche bzw. sozial faire Bedingungen eine untergeordnete Rolle. Den meisten Personen (> 85 %) ist es wichtig, dass das Kleidungsstück passt, angenehm zu tragen, gut verarbeitet, pflegeleicht und aus einem guten Stoff ist. Mehr als 93 % der Befragten sind der Preis und das Preisleistungsverhältnis wichtig, aber lediglich 59 % die Umweltverträglichkeit oder sozial faire Bedingungen bei Herstellung und Handel. Dieser Prozentsatz ist zwar deutlich niedriger, aber im Vergleich mit dem im Panel ermittelten Anteil von 25 %, die sich 2015 bis zum Befragungszeitpunkt mindestens ein Kleidungsstück mit Ökolabel gekauft haben, doch deutlich höher. Unsere Untersuchung bestätigt also eine Lücke zwischen Denken und Handeln. Dabei legen Frauen im Durchschnitt signifikant mehr Wert auf Fairtrade und Umweltschutz als Männer. Außerdem spielt das Einkommen eine Rolle. Höherverdiener tendieren signifikant stärker zu Fairtrade und Umweltschutz als Personen mit mittlerem oder geringerem Einkommen (siehe Abb.1 und 2).

Mangelndes Vertrauen in Fairtrade-Siegel

Möglicherweise ist mangelndes Vertrauen in entsprechende Siegel der Grund, warum der Anteil der tatsächlich gekauften Produkte mit Ökolabel so stark von den Befragungsergebnissen abweicht. Fast die Hälfte der Befragten (47 %) gab an, eine ambivalente Einstellung gegenüber Fairtrade-Siegeln zu haben. Sie halten diese nur unter bestimmten Bedingungen für sinnvoll, nämlich, wenn sie „für alle Hersteller/Marken verpflichtend“ und „ausreichend überprüft und kontrolliert“ sind. 29 % der Befragten sehen Siegel sogar negativ und meinen, diese dienten nur dazu, Bekleidung teurer zu verkaufen und sehen sie als Versuch, das Gewissen der Konsumenten zu beruhigen. Nur 12 % haben eine positive Einstellung gegenüber Fairtrade-Siegeln und vertrauen diesen ohne Einschränkung; die übrigen 12 % machten keine Angabe.

Verzerrung durch sozial erwünschtes Antwortverhalten?

Neben dem mangelnden Vertrauen in Fairtrade-Siegel könnte auch sozial erwünschtes Antwortverhalten zur Diskrepanz zwischen Einstellungen und tatsächlichen Käufen beitragen. Um diese Vermutung genauer zu untersuchen, haben wir die Befragten im Anschluss an die Befragung zu einem kleinen Spiel eingeladen und ihre Spendenbereitschaft beobachtet (siehe Box 1). Über alle Befragten hinweg spendete fast die Hälfte die verfügbaren 2 EUR vollständig. 27 % behielten den gesamten Betrag. 23% behielt einen Teil und spendete den Rest (s. Abb. 3).

Schweigt das soziale Gewissen also schnell, wenn es an die eigene Geldbörse geht?

Obwohl zwischen Taten und Worten eine Lücke klafft, kann man nicht pauschal von mangelndem sozialen Gewissen sprechen: Im Diktatorspiel spendeten immerhin zwei Drittel der Befragten mindestens die Hälfte ihrer zwei Euro für eine gemeinnützige Organisation. Zwischen dem Spendenverhalten und den anderen abgefragten Merkmalen wurden einige (häufig jedoch schwache) zusammenhänge gefunden. Je wichtiger preisbezogene Kriterien waren, desto geringer fiel die Spendenhöhe aus. Hingegen fiel die Spende umso höher aus, je wichtiger der Person umweltfreundliche bzw. faire Bedingungen waren. Ältere Personen spendeten mehr als jüngere. Den stärksten positiven Zusammenhang mit der Spendenhöhe zeigt die Zahlungsbereitschaft. Personen, die mehr Geld für Kleidung ausgeben, spendeten auch einen höheren Betrag.

Eine Faktoren- und Clusteranalyse der erhobenen Daten ergab die in Box 2 beschriebene „Fairtrade-Typologie“ deutscher Konsumenten.

Vom Denken zum Tun: Strategien zur Förderung von fairem Textilkonsum

Gibt es nun Strategien, um die aufgezeigte Lücke zwischen Kaufbereitschaft und den moralischen Ansprüchen, die viele Konsumenten an sich selbst stellen, zu verkleinern? Unsere Daten und Typen liefern ein paar vielversprechende Ansatzpunkte, die nicht auf Selbstlosigkeit bauen, sondern den einzelnen Konsumentengruppen handfestere Nutzen stiften. Immerhin drei der fünf Typen (in Box 2 grün hinterlegt) oder zwei Drittel der Konsumenten kommen gemäß unseren Ergebnissen als mögliche Zielgruppen in Frage.

  • Den Mehrwert von Öko und Fairtrade kommunizieren
    Vor allem unsere Typen 1 – der moralische Perfektionist ‑ und 3 – der preissensible aber moralzugängliche Skeptiker – sind empfänglich für moralische Argumente. Marken, die kommunizieren, welche sozialen oder ökologischen Wirkungen ihre Produkte haben, stoßen hier auf offene Ohren. Sowohl der Point-of-Sale aber auch alle sonstigen Kommunikationskanäle, wie Prospekte, die eigene Homepage oder spezielle CSR-Reports, eignen sich dafür, die positiven Wirkungen des nachhaltigen Konsums zu.
  • Die Glaubwürdigkeit von Öko- und Fair-Trade Siegeln erhöhen
    In unserer Umfrage gab knapp die Hälfte der Befragten an, bei Fair-Trade-Siegeln bestimmte Aspekte wie Verbindlichkeit und Kontrolle kritisch zu sehen. Maßnahmen, die das Vertrauen in Fair-Trade-Siegel steigern, wie vom Textilbündnis der Bundesregierung angestrebt, erscheinen also vielversprechend.
  • Die Sichtbarkeit nachhaltiger Kleidung erhöhen
    Die derzeit eingesetzten Fairtrade und Ökö-Labels sind nach außen hin meist nicht erkenntlich. Gerade wenn es um soziale Normen geht, ist es von Nachteil wenn Inkonsistenzen zwischen Worten und Taten nicht sichtbar sind. Wenn ethische Kaufentscheidungen durch das soziale Umfeld beobachtbar wären, könnten sich Konsumenten durch den Konsum von entsprechenden Produkten profilieren. Ein immer wieder angedachter sichtbarer „grüner Knopf“, oder ein nach außen erkennbares Fair-Trade-Logo wären Möglichkeiten, die eigene Moral zur Schau zu stellen. Diese Strategie könnte neben unseren Typen 1 und 3 auch dem auf seine Außenwirkung bedachten Typ 2 ein Zugreifen bei fair produzierter Kleidung schmackhafter machen und vielleicht sogar zusätzliche Segmente erschließen.
  • Kleine Brötchen backen
    Nicht alle Fair-Trade Interessenten sind kaufkräftig. Auch bei unserem Typ 3 spielen Kaufkraft und das Preisleistungsverhältnis eine wichtige Rolle. Da schon minimale Beträge pro Kleidungsstück eine signifikante Verbesserung der Lohnniveaus und Lebensumstände von Näherinnen  bewirken können, ist auch eine „Strategie der kleinen Schritte“ denkbar. Indem man zum Beispiel mit einem T-Shirt nicht gleich auf öko plus fair setzt, sondern nur auf einen Aspekt, können bereits geringe Preissteigerungen Gutes bewirken. So ermöglicht man auch Konsumenten mit knapper Kasse ethische Kaufentscheidungen und in den nachhaltigen Kleiderkonsum einzusteigen. Allerdings muss auch diese Strategie gut und glaubwürdig kommuniziert werden, um das vorhandene Misstrauen abzubauen.

Wie unsere Studie ebenfalls zeigt, kann bei der Erforschung von Kaufmotiven für ethischen Konsum die methodische Reduzierung auf Befragungsdaten und Verkaufszahlen auf die falsche Fährte führen. Der hohe Anteil von altruistischem Verhalten, wie er durch das Diktatorspiel offengelegt wurde, wäre unentdeckt geblieben. Gleichzeitig ist bekannt, dass Märkte moralische Entscheidungen unterminieren können. Verhaltensökonomische Experimente, die Rahmenbedingungen und Abhängigkeiten der Marktakteure abstrahiert nachbilden und mit echten monetären Anreizen koppeln, können bei der Identifikation der kritischen Faktoren und der Ableitung von Maßnahmen helfen.

Autorinnen und Autoren

Literaturhinweise

  • Kahneman, D., Knetsch, J. L., & Thaler, R. H. (1986). Fairness and the assumptions of economics. Journal of Business 59 (4), S. 285-300.
  • Bolton, G. E., & Ockenfels, A. (2000). ERC: A theory of equity, reciprocity and competition, American Economic Review 90 (1), S. 166-193.
  • Falk, A., & Szech, N. (2013). Morals and Markets. Science 340(6133), S. 707-711.
Publikation teilen

Weitere Artikel der MIR-Ausgabe “Marketing mit Verantwortung”

Hier finden Sie weitere spannende Artikel dieser Ausgabe.

Zur gesamten Ausgabe

Marketing mit Verantwortung: Gutes tun und erfolgreich sein

Unternehmerische Vorteile und ein gutes Gewissen kann man gemeinsam erreichen, wenn man die richtigen Hebel betätigt. Unternehmen können …

Mehr erfahren

CSR als Trumpf im Wettbewerb: Ein klares Profil durch Marketing mit Verantwortung

Wenn soziale Initiativen einen echten gesellschaftlichen Beitrag leisten, können sie die Herzen der Konsumenten erobern und zu langen, …

Mehr erfahren

CSR an der Kundenfront: Wie soziale Programme den Kundenservice verbessern

CSR-Programme wie karitative Spenden, Umweltprogramme oder ethische Richtlinien sind in der Lage, Mitarbeiter an der Kundenfront zu …

Mehr erfahren

Vom wohltätigen Unternehmen zum Shared Value: Die neuen Geschäftsmodelle der Pharmaindustrie in Entwicklungsländern

Einige große Unternehmen erreichen in Entwicklungsländern Wachstum, indem sie gleichzeitig ökonomische und gesellschaftliche Werte schaffen.

Mehr erfahren

Mit dem Branding von Rohstoffen zu einer besseren Welt: Intel verbannt Konfliktmineralien

Viele Unternehmen versuchen, mehr Verantwortung für ihre Rohstoffe und ihre Lieferkette zu übernehmen. Intel war unter den Ersten, die …

Mehr erfahren

Ökoprodukte und ihre Bewerbung: Weshalb umweltfreundliche Eigenschaften besser ankommen, wenn sie „ungeplant“ sind

Gute Taten müssen nicht automatisch gut für Unternehmen sein. Paradoxerweise kann im Falle von umweltfreundlichen Produkten sogar das …

Mehr erfahren

Interview: Schokolade mit Verantwortung

Als einer der größten und erfolgreichsten Player in der Schokoladenindustrie führt für Ferrero kein Weg vorbei an Themen wie Verantwortung …

Mehr erfahren
Zum Seitenanfang